Hohe Qualität der Schlaganfall-Versorgung
Die akute Schlaganfall-Versorgung in Deutschland ist sehr gut, aber nach der Klinikentlassung fehlen strukturierte Nachsorgeprogramme. So fasst Versorgungsforscher Prof. Peter Heuschmann (Würzburg) die Lage zusammen. Es gibt wenige Daten darüber, wie es Patienten nach der Klinik ergeht. Die meisten Erkenntnisse liefert aktuell die große Patientenbefragung der Schlaganfall-Hilfe zur Nachsorge.
Sie stellte fest, dass ein Großteil der Betroffenen auch Jahre nach dem Schlaganfall noch Versorgungsmängel beklagt.
Stroke Units werden immer besser
Mehr als 350 zertifizierte Stroke Units (Schlaganfall-Stationen) gibt es mittlerweile in Deutschland. Dr. Björn Misselwitz (Eschborn) wertet regelmäßig die Daten der Deutschen Schlaganfall-Register aus. Darin tragen Stationen auf freiwilliger Basis und anonymisiert ihre Behandlungsdaten zusammen. In fast allen Bereichen sieht er laufend Verbesserung, obwohl die Qualität schon auf einem hohen Niveau sei.
Verlegungen kosten Zeit
Prof. Tobias Neumann-Haefelin (Fulda) musste schon genau hinsehen, um in der flächendeckenden Versorgung noch Defizite zu erkennen. So hätten Patientinnen und Patienten in den ländlichen Bereichen Nordhessens eine geringere Chance auf eine Thrombektomie, eine mechanische Entfernung eines Gerinnsels über einen Katheter. Diese Behandlung wird nur in größeren Zentren angewandt. Die Vermutung ist, dass Patienten aufgrund der weiteren Entfernung in diese Zentren nicht immer verlegt werden. Auffällig sei aber:
Wenn eine Verlegung erfolge, dauere es im Schnitt zwei Stunden länger bis zur Behandlung. Nur ein Drittel davon ist Fahrzeit.
Der Rest gehe durch Organisation und Wartezeiten verloren. Hier ist sicher noch Luft nach oben.
Neues Medikament: Tenecteplase als Alternative
Rund 80 Prozent aller Schlaganfälle entstehen durch Gefäßverschlüsse.
Die klassische Therapie hierbei ist die Thrombolyse, die medikamentöse Auflösung des Gerinnsels. Dafür wird seit mehr als 20 Jahren in Deutschland der Wirkstoff Alteplase eingesetzt. Als vor zwei Jahren erstmals Engpässe bei dem bewährten Medikament auftraten, horchte die Öffentlichkeit auf. Vielleicht auch deshalb fiel die Entscheidung, mit der Tenecteplase einen zweiten Wirkstoff für die Thrombolyse einzusetzen. Bisher kam das Medikament nur bei Gefäßverschlüssen am Herzen zum Einsatz.
Viele Kliniken haben umgestellt
Wer die Wahl hat, hat die Qual: Welches Mittel ist nun das Bessere? Weltweit gibt es einige Studien dazu, die vermuten lassen, dass Tenecteplase mindestens so wirksam ist wie Alteplase.
Der neue Wirkstoff ist einfach in der Handhabung, sicher und wirksam.
Deshalb habe seine Klinik bereits umgestellt, und viele andere Kliniken auch, wie eine spontane Umfrage unter den Anwesenden zeigte. Noch sei die Studienlage für die Alteplase besser, doch offensichtlich hat die Wirklichkeit die Wissenschaft überholt.
So oder so: Akute Schlaganfall-Patienten erhalten auf Stroke Units eine sichere Behandlung.
Schlaganfall bei jüngeren Menschen
270.000 Menschen pro Jahr erleiden in Deutschland einen Schlaganfall. Etwa 35.000 von ihnen sind unter 55 Jahre alt. Bei ihnen liegen – anders bei älteren Menschen – häufiger seltene Schlaganfall-Ursachen vor. Die Dissektion etwa – der Riss einer Gefäßinnenwand – ist für etwa 2 Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich, bei den jüngeren Betroffenen dagegen sind es 25 Prozent.
Schlaganfall und Schwangerschaft
Dr. Tobias Wagner-Altendorf (Lübeck) beschäftigt sich mit Thema Schlaganfälle und Schwangerschaft. Schon lange bekannt ist, dass die Schwangerschaft ein Schlaganfall-Risiko darstellt. Auf 100.000 Geburten kommen 30 Schlaganfälle, die Tendenz steigt.
Die Schwangerschaft ist ein Stresstest für das kardiovaskuläre System der werdenden Mutter.
Das höchste Risiko bestehe zum Ende der Schwangerschaft.
Ist deshalb Frauen, die bereits einen Schlaganfall erlitten haben, von einer Schwangerschaft abzuraten? Nicht generell, so Wagner-Altendorf, das sei wie so häufig vom Einzelfall abhängig. Auf jeden Fall müsse die Medikation in der Nachsorge angepasst werden.
Herzfehler verursacht Hirninfarkt
Etwa ein Viertel aller Menschen haben ein Loch im Inneren ihres Herzens, ein so genanntes offenes Foramen Ovale (PFO). Die wenigsten wissen davon, denn es macht keine Beschwerden.
Es kann aber dazu führen, dass ein Blutgerinnsel, das normalerweise in der Lunge „gefiltert“ würde, ins Hirn gelangt und ein Gefäß verschließt. Bei vielen jungen Schlaganfall-Patienten wird ein PFO gefunden, doch nicht immer lässt sich eindeutig nachweisen, dass es auch ursächlich für den Schlaganfall war. Die Empfehlung geht dennoch dahin, zumindest bei Menschen zwischen 18 und 60 Jahren das PFO durch einen Schirm zu verschließen. Das ist heute durch einen vergleichsweise kleinen Eingriff möglich.
Der Schlaganfall wird jünger
Neben all den seltenen Schlaganfall-Ursachen gilt aber auch bei jungen Menschen: Die klassischen Risikofaktoren stehen im Vordergrund. Selbst bei Patientinnen und Patienten unter 50 Jahren sind sie für die meisten Schlaganfälle verantwortlich.
- Bluthochdruck etwa wird bei jungen Menschen selten diagnostiziert und fast nie medikamentös eingestellt.
- Diabetes nimmt weltweit zu, 80 Prozent der Jugendlichen bewegen sich zu wenig.
- Rund 50 Prozent der jüngeren Betroffenen haben zu hohe Cholesterinwerte.
- Und mehr als die Hälfte der jüngeren Betroffenen rauchen.
Der Schlaganfall wird zunehmend jünger.
Betroffene in Forschung einbinden
Auch die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe war beim 1. Deutschen Schlaganfall-Kongress thematisch eingebunden. Sie bestritt einen ganzen Vormittag mit zwei Themen, die erst in den letzten Jahren in den Fokus der akuten Neurologinnen und Neurologen rückten:
- der Einbindung von Patientinnen und Patienten in die Forschung und
- die Verbesserung der Schlaganfall-Nachsorge.
Patientenbeteiligung gewinnt zunehmend an Bedeutung, teilweise wird sie von Geldgebern zur Voraussetzung für eine Forschungsförderung gemacht. Immer häufiger wird deshalb die Schlaganfall-Hilfe kontaktiert, wenn es um die Einbindung von Betroffenen geht. Eine aktuelle Umfrage der Stiftung unter forschenden Medizinerinnen und Medizinern zeigt, dass auch sie hier großen Nachholbedarf sehen.

Neue Leitlinie mit Patientenbeteiligung
Dass es auch anders geht, zeigt das aktuelle Beispiel der ReMoS-Leitlinie. Diese Behandlungsleitlinie zur Rehabilitation der Mobilität nach Schlaganfall ist in die Jahre gekommen und muss erneuert werden.
Gerade im Bereich der Gangrehabilitation hat es in den letzten Jahren rasante Entwicklungen durch Robotik, Virtuelle Realität und Stimulationstechniken gegeben, für die es noch keine Empfehlungen gibt. Welche Behandlung sollte wem in welchem Stadium angeboten werden? Und welche besser nicht? Christian Dohle und Heike Unger (Berlin) stellten auf dem Kongress vor, wie sie neben zahlreichen medizinischen Fachgesellschaften auch erstmals 5 Patientinnen und Patienten aktiv in die Erstellung der Leitlinie einbinden.
Tipps für Patientenlotsen-Projekte
Auch um das Leuchtturm-Projekt der Schlaganfall-Hilfe ging es auf dem Kongress. Patientenlotsen gewinnen beim Schlaganfall und anderen chronischen Erkrankungen an Bedeutung.
Als jüngstes Projekt startete in diesem Sommer das Jüdische Krankenhaus Berlin mit zwei Schlaganfall-Lotsinnen. Chefarzt Gerhard Jan Jungehülsing sieht darin eine echte Chance, zum Vorbild für die ganze Region zu werden. Seine Tipps für alle, die ebenfalls Lotsenprojekte planen:
Die Netzwerkpartner frühzeitig ins Boot holen und gut kommunizieren.
In Berlin und an zahlreichen anderen Orten hat das bereits funktioniert.
Häufige Fragen (FAQ)
Wie viele Schlaganfälle gibt es in Deutschland pro Jahr?
Rund 270.000 Fälle, davon ca. 35.000 bei Menschen unter 55 Jahren.
Warum steigt die Zahl der Schlaganfälle bei jungen Menschen?
Bei jüngeren Patientinnen und Patienten spielen sowohl seltene Ursachen (z. B. Gefäßdissektionen, Herzfehler, Schwangerschaft) als auch klassische Risikofaktoren (Bluthochdruck, Diabetes, Bewegungsmangel, Rauchen) eine Rolle.
Wie sieht die Nachsorge in Deutschland aus?
Die Akutversorgung ist hervorragend, aber nach der Klinik fehlen vielerorts strukturierte Nachsorgeprogramme. Viele Betroffene berichten auch Jahre später noch über Versorgungslücken.
Was ist Tenecteplase?
Ein neues Therapie-Medikament, das mindestens ebenso wirksam ist wie Alteplase ist. Immer mehr Kliniken setzen es bereits ein.
Was sind Patientenlotsen?
Sie unterstützen Betroffene und Angehörige nach der Klinik: Sie koordinieren Behandlungen, beraten im Alltag und entlasten Angehörige.
- Verstehen & VermeidenBasisinformationen zum Thema Schlaganfall
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