Grit erzählt ihre Geschichte

Grit hatte drei Löcher im Herzen

Als die Erzieherin eines nachmittags nach Hause kam, merkte sie, dass irgendwie nichts mehr funktionierte. Nicht die einfachsten Handlungen. Dinge, die sie tausende Male in ihrem Leben gemacht hatte.

"Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was der Schlaganfall ausgelöst hat. Sehr lange. Das ist ein schmerzhafter Prozess mit vielen Kämpfen, viel Scheitern, vielen Tränen. Es braucht Zeit, bis man endgültig versteht, dass man nie wieder in sein normales, altes Leben zurückkehren wird. Ich könnte locker ein Buch darüber schreiben, was mir in den letzten zehn Jahren passiert ist. Dabei hat es mich nicht einmal so schlimm getroffen, wie manch andere. Ich habe keine Lähmungen, ich kann wieder sprechen. Genau das macht mir aber auch oft das Leben schwer. Andere Menschen sehen mir nichts an. Für sie bin ich gesund, dabei bin ich alles andere als das.

Als Erzieherin hatte Grit einen stressigen Job

An dem Tag als es passiert ist, erinnere ich mich genau: Ich bin Erzieherin und war zu dem Zeitpunkt stellvertretende Leiterin einer großen Kindertagesstätte. Ein stressiger Job und auch unter den Kollegen lief nicht alles rund. Als ich nachmittags nach Hause kam, merkte ich, dass irgendwie nichts mehr funktionierte. Nicht die einfachsten Handlungen. Ich habe es nicht geschafft, den Computer hochzufahren. Ich habe es nicht geschafft, eine Telefonnummer im Handy zu suchen. Dinge, die ich tausende Male in meinem Leben gemacht hatte. Plötzlich wusste ich nicht mehr, wie das funktioniert. Beim Blick in den Spiegel habe ich mich erschrocken: Ich sah total fertig aus. Trotzdem habe ich mich aufgerafft und bin abends noch zu einer Besprechung in die Kita gefahren. Das war mein Glück. Dort habe ich erst gemerkt, dass ich nicht mehr sprechen kann. Zu Hause hatte ich ja mit niemandem gesprochen. Eine Kollegin hat richtig reagiert und sofort den Rettungsdienst mit Notarzt an Bord gerufen. Das war am 7.Oktober 2009, ich war 47 Jahre alt.

Nach dem Schlaganfall folgte eine Herz-OP

Die wahrscheinliche Ursache stand schnell fest: Ich hatte drei Löcher im Herzen, von denen ich nichts wusste. Als Kind und Jugendliche war ich Leistungssportlerin im Kunsturnen. Im Nachhinein fast ein Wunder, dass mir damals noch nichts passiert ist.

Nach dem Schlaganfall haben mir die Ärztinnen und Ärzte geraten, die Löcher möglichst schnell operativ verschließen zu lassen. Dem Rat bin ich gefolgt – ein großer Fehler, wie ich danach festgestellt habe. Nach der Herz-OP war das Zeitfester zur Beantragung einer neurologischen Reha verstrichen. Eine kardiologische Reha wurde ebenfalls als unnötig abgelehnt.

Mir ging es so schlecht, dass mir letzter Kraft eine psychosomatische Reha erkämpft habe, die ich dann zehn Monate nach meinem Schlaganfall angetreten habe. Aus der Reha bin ich nach acht Wochen auf eigenen Wunsch als „gesund“ entlassen worden. Was für ein Blödsinn. Für die Folgen des Schlaganfalls habe ich nie Therapien erhalten. Keine neuropsychologische Testung, nichts.

Was in meinem Kopf alles kaputtgegangen ist, habe ich nach und nach gemerkt.

Im täglichen Leben oft überfordert

Ich bin zu meinem damaligen Partner auf seinen Bauernhof gezogen und habe im Hofladen geholfen – beziehungsweise habe versucht, zu helfen. Wenn viele Kunden gleichzeitig da waren, war ich völlig überfordert. Als die Kasse ausfiel und ich die Preise im Kopf zusammenrechnen musste, ging gar nichts mehr. Dabei hatte ich in der Schule eine eins in Mathe und konnte immer prima Kopfrechnen. Ich bemerkte ständig Zahlen- und Buchstabendreher und war einer normalen Leistungsanforderung nicht mehr gewachsen. Ständig hatte ich Energiezusammenbrüche und selbst im normalen Alltag immer wieder keine geordnete Struktur mehr. Wo ist die Powerfrau von früher geblieben?!

Die Beziehung war zu frisch und hat die Belastung meines komplett veränderten Zustandes nicht überstanden und ist leider gescheitert.

Der Versuch, halbtags wieder in einer Kita zu arbeiten, ist gescheitert. Es war viel zu laut, ich konnte mir die Namen der Kinder nicht merken, mich nicht mehr gleichzeitig auf die vielfältigen Anforderungen als Erzieherin konzentrieren, das heißt, eigentlich keinerlei Verantwortung mehr in dem Bereich für das Wohl der mir anvertrauten Kinder übernehmen!

Grit schämte sich für ihren Zustand

Die Beantragung der Rente war ein Kampf und ist es bis heute. Erst ist sie für zwei Jahre genehmigt worden, dann nochmal zwei, dann drei. Der unsichere Zustand macht mich zusätzlich fertig. Ob der Gutachter einem glaubt oder nicht, scheint so unberechenbar. Man sieht mir ja nichts an! Ich habe versucht, mich in der Selbsthilfe zu engagieren, aber auch dazu fehlte mir eigentlich die Energie.

2016 war ich nur noch ein Schatten von mir selbst. Ich konnte nicht mehr schlafen, habe kaum noch gegessen, hatte schwere Depressionen. Was mache ich noch auf der Welt? Wozu bin ich überhaupt noch da? Ich habe mich geschämt für meinen Zustand. Alle Beziehungen, egal ob zu Kindern, Partnern oder Freunden werden auf die Probe gestellt. Manche halten es aus, andere nicht.

Für meinen damaligen Hund hatte ich Verantwortung, für ihn habe ich weiter funktioniert. Irgendwann hat mein Bekannter mich in eine psychologische Klinik einweisen lassen. Zuerst war sich sauer, doch im Endeffekt war die zehnwöchigeTherapie mein großes Glück. Dort gab es die erste neuropsychologische Fallbesprechung von ärztlichem Fachpersonal über mich. Und dort habe ich viele wertvolle Menschen kennengelernt.

Mit den unsichtbaren Folgen lernt Grit zu leben - Das Lachen kommt zurück

Die Folgen des Schlaganfalls werden nie verschwinden. Mein Akku funktioniert vielleicht zu 60 Prozent, aber er wird nie wieder voll. Ich habe immer noch Probleme mit Zahlen, kann nicht richtig logisch denken, bin emotional dünnhäutig. Als ein entfernter Verwandter mich als „Sozialschmarotzerin“ bezeichnet hat, hat mich das tief getroffen. Er hat mir nicht geglaubt, dass ich nicht mehr arbeiten kann. Dabei würde ich nichts lieber tun als das.

Ende des Jahres muss mein Rentenantrag verlängert werden. Ich habe Angst, dass das wieder ein Kampf wird. Inzwischen weiß ich aber besser mit allen diesen Situationen umzugehen.

Mit meinem neuen jungen Hund werde ich bald eine Ausbildung für tiergestützte Therapie und Pädagogik beginnen. Ich hoffe, dass ich damit Menschen helfen kann, denen es ähnlich geht.

Das Lachen kommt zurück."