"Es braucht Begleitung"

Wie verläuft der Prozess der beruflichen Rehabilitation nach einem Schlaganfall? Darüber sprach Mario Leisle mit Christian Ahlers. Als Referent der Deutschen Rentenversicherung Westfalen kennt er die gesetzlichen Regelungen ebenso wie die Sorgen und Fragen der Betroffenen.

Christian Ahlers

Im Interview:
Christian Ahlers
Referent der Deutschen Rentenversicherung Westfalen



  • Herr Ahlers, nach dem Schlaganfall zurück in den Beruf, das kann ein langer Weg sein.

Mitunter ja. Man muss sich klarmachen, da sind Menschen in ihrer Lebensplanung komplett aus der Bahn geworfen worden. Sie müssen mit einer Situation klarkommen, mit der sie sich vorher nie gedanklich beschäftigt haben.

  • Sind Betroffene schon bereit für den Beruf, wenn sie zu Ihnen kommen?

Ein Fokus der Beratung liegt neben der Information immer auf der individuellen Bedarfssituation der Versicherten. Wenn deutlich wird, dass hier zum Beispiel begleitend psychotherapeutische Hilfe wichtig ist, wird das aufgenommen und manchmal zur Voraussetzung für weitergehende Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation gemacht.

  • Schlaganfall-Betroffenen fällt es oft schwer, das eigene Leistungsvermögen realistisch einzuschätzen.

Ja, ein Grund mehr, zu uns zu kommen. Es gibt Instrumente, durch die man sich an mögliche Berufsoder Integrationsziele herantasten kann. Der größte Fehler in der Rehabilitation ist, keinen Antrag zu stellen und sich nicht unterstützen zu lassen. Die berufliche Rehabilitation ist ein komplexes Feld, dafür braucht es Begleitung durch Experten.

  • Wie gehen Sie bei der Planung einer beruflichen Rehabilitation vor?

Die Rehafachberater kommen ins Spiel, wenn die versicherungsrechtlichen und persönlichen Voraussetzungen vorliegen. Dann geht es um die inhaltliche Ausgestaltung, man erfragt zunächst den Ist-Stand: Wie ist die Krankheit verarbeitet? Haben wir eine stabile Situation? Sind weitergehende medizinische Hilfen notwendig? Um dann im zweiten Schritt zu gucken, wo es hingehen soll: Welches Interesse haben die Leute und welchen Unterstützungsbedarf?

  • Haben die Betroffenen in der Regel klare Vorstellungen, wie es weitergehen soll?

Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben Versicherte, die gedanklich noch bei ihrer Erkrankung sind. Andere kommen schon mit sehr konkreten Ideen. Da ist dann die Frage, ist das auch umsetzbar. Die persönlichen Wünsche stehen im Vordergrund, das ist klar, aber wir können vielleicht nicht alle Wünsche erfüllen. Wenn Wünsche weit von den Leitlinien abweichen oder vom persönlichen Leistungsvermögen, müssen wir im Zweifel gemeinsam neue Ziele definieren.

  • Im Sozialgesetzbuch heißt es, dass Leistungen zur beruflichen Rehabilitation „angemessen“ sein sollen. Was bedeutet das?

Angemessen heißt, an den Bedarfen des Versicherten orientiert. Leistungen sollen einen Nachteil ausgleichen, der durch eine Behinderung entstanden ist, damit der Versicherte möglichst gleichwertig wieder tätig sein kann.

  • Was ist, wenn der Versicherte eine andere Einschätzung hat und mit einer Maßnahme nicht einverstanden ist?

Er hat jederzeit die Möglichkeit, dies im laufenden Ausgestaltungsverfahren anzusprechen oder einem erteilten Bescheid zu widersprechen. Die Entscheidung wird dann durch einen Ausschuss von Versicherten- und Arbeitgebervertretern geprüft. Wenn auch diese Prüfung negativ ausfällt und der Betroffene weiterhin anderer Meinung ist, bleibt die Klage beim Sozialgericht. Dazu muss man aber wissen, dass es in der Regel sehr lange dauert, bis es da zu einer Entscheidung kommt.

  • Der Schlaganfall ist die häufigste Ursache für Behinderungen bei Erwachsenen. Wie schwer sind die beruflichen Folgen?

Sehr unterschiedlich. Aber gerade bei Schlaganfall- Patienten liegt der Fokus nicht gleich auf einer Neuorientierung. Oft kann – je nach Schwere der Einschränkung – durch Anpassungen am Arbeitsplatz, Veränderungen der Abläufe oder technische Hilfen ein bestehender Arbeitsplatz erhalten bleiben.

  • Manchmal wirken Betroffene topfit, leiden aber unter neuropsychologischen Störungen und halten den Belastungen im Job nicht stand.

Da ist häufig eine Eignungserprobung angezeigt, bei der sich auch neurologische Folgen zeigen, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Es gibt zum Beispiel einige Berufsförderungswerke, die sich neurologisch spezialisiert haben. Solche Angebote finde ich zwar nicht immer wohnortnah, aber sie sind gut. Ich rate dazu.

  • Wenn Menschen besonders schwer betroffen sind, bleibt manchmal nur die Werkstatt für behinderte Menschen.

Ja, das ist nicht immer leicht. Die Praxis zeigt, dass der Weg von dort zurück auf den allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin die Ausnahme ist. Dennoch ist die Werkstatt für viele Menschen eine gute Alternative, weil man auch dort eine sinnvolle Aufgabe hat, sie einem eine klare Tagesstruktur und Routinen bietet, man weiterhin Grundbeiträge zur Alterssicherung leistet und Sozialkontakte aufrechterhält. Das alles sind Komponenten, die ganz wichtig für die Gesunderhaltung sind.

 

Herr Ahlers, herzlichen Dank für das Gespräch.