Frühe Behandlung erspart viel Leid

Dr. Caroline Kuhn ist Klinische Neuropsychologin und Psychologische Psychotherapeutin. Sie leitet die Neuropsychologische Lehr- und Forschungsambulanz an der Universität des Saarlandes. Mit Anne-Marie Brockmann sprach sie über Depressionen nach Schlaganfall.

Dr. Caroline Kuhn

Im Interview:
Dr. Caroline Kuhn 
Klinische Neuropsychologin und Psychologische Psychotherapeutin
Leiterin der Neuropsychologischen Lehr- und Forschungsambulanz an der Universität des Saarlandes

  • Frau Dr. Kuhn, ein Schlaganfall ist ein einschneidendes Ereignis. Wenn sich Betroffene anschließend niedergeschlagen oder traurig fühlen, müssen sie dann befürchten, an einer Depression zu leiden?

Nein, nicht zwingend. Denn das Erlebte muss schließlich verarbeitet werden. Dazu gehört es auch, unangenehme Gefühle wie Wut, Angst oder Verzweiflung zuzulassen. Allerdings beeinflussen verschiedene Faktoren wie etwa das Naturell, wie erfolgreich dieser Bewältigungsprozess verläuft. So sind beispielsweise Menschen, die dazu neigen, alles mit sich allein auszumachen, besonders gefährdet, nach ihrem Schlaganfall an einer Depression zu erkranken.

 

  • Wie merken Betroffene, ob sie noch in der normalen Krankheitsverarbeitung sind oder schon eine Depression haben?

Tatsächlich ist es gar nicht so leicht, das zu unterscheiden. Wenn die negativen Gefühle aber überhandnehmen, sollten Betroffene und Angehörige eine Depression zumindest erwägen. Zusätzlich können Symptome wie Schlaf- und Appetitstörungen, andauernde Müdigkeit und ein Gefühl der Hilf- und Hoffnungslosigkeit auftreten. Die Betroffenen fühlen sich häufig antriebslos und blicken düster auf sich selbst, ihre Umwelt und die Zukunft.

 

  • Ein Schlaganfall hinterlässt Schäden im Gehirn. Können diese auch Depressionen auslösen?

Das ist durchaus möglich, denn eine Reihe von Betroffenen können nach dem Schlaganfall deutlich weniger gut Emotionen wahrnehmen und zeigen. Das liegt mitunter daran, dass komplexe Funktionen wie Gedächtnis oder eben Emotionen nicht an einzelne Hirnareale gebunden sind, sondern in spezifischen Netzwerken, die das gesamte Gehirn umspannen, verarbeitet werden. Leider entfalten in diesen Fällen Antidepressiva oder Psychotherapie häufig nicht dieselbe Wirkung wie bei anderen Depressionsformen. Hier braucht es unbedingt zusätzlich eine neuropsychologische Diagnostik.

 

  • Wo finden Betroffene mit Verdacht auf Depression Hilfe?

Erste Ansprechpartner sind der eigene Hausarzt oder die niedergelassene Neurologin. Bestätigt sich der Verdacht, sollten sich die Betroffenen auf jeden Fall an eine psychotherapeutische Praxis wenden. Sie sollten die Psychotherapeutin oder den Psychotherapeuten auch unbedingt über ihren Schlaganfall informieren. So kann bei Bedarf ein neuropsychologisches Konsil angefordert werden, um die hirnorganischen Schäden in der Therapie berücksichtigen zu können.

 

  • Die Wartezeiten auf einen solchen Therapieplatz sind aber häufig lang.

Das stimmt. Doch davon sollte sich niemand abschrecken lassen. Eine frühzeitige Behandlung der Depression erspart viel Leid: Die Prognose ist in der Regel recht günstig. Zusätzlich sollte möglichst viel Krankheitswissen zur Verfügung gestellt werden, damit sich Gefühle von Ratlosigkeit reduzieren.

 

  • Die Wartezeit lohnt sich also?

Auf jeden Fall. Eine weitere Alternative können
psychotherapeutische Institutsambulanzen an Universitäten sein. Sie können manchmal früher einen Therapieplatz anbieten als niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.

 

Frau Dr. Kuhn, vielen Dank für das Gespräch.