Seit zwölf Jahren begleitet der Dresdner Uwe Helbig Patientinnen und Patienten und deren Angehörige durch das erste Jahr nach dem Schlaganfall. Mario Leisle fragte ihn nach Ratschlägen, die er Menschen mit besonderen Hilfebedarfen geben kann.

Uwe Helbig

Im Interview:
Uwe Helbig
gelernter Krankenpfleger, Schlaganfall-Lotse und zertifizierter Case-Manager

  • Herr Helbig, wenn man über besonderen Hilfe­bedarf spricht, muss man umgekehrt auch fra­gen: Gibt es eigentlich den typischen Schlagan­fall?

Aus meiner Erfahrung gibt es ihn nicht. Natürlich hat man wiederkehrende Problematiken und viele Fragen wiederholen sich. Aber wir haben in unserem Lotsen­programm über tausend Patienten betreut. Da hat je­der seine individuelle Note.

 

  • Wie helfen Sie eigentlich Betroffenen, die die Ursache ihres Schlaganfalls gar nicht kennen?

Das sind Menschen, die haben zumindest einen be­sonderen Beratungsbedarf. Man geht davon aus, dass ungefähr dreißig Prozent der Betroffenen die Ursache nicht kennen. Man sucht weiter, aber manchmal fin­det man nichts. Das macht es gerade für jüngere Pati­enten schwer. Man muss ihnen erklären, dass sie viel­leicht lebenslang Medikamente einnehmen müssen, ohne genau zu wissen, warum.

 

  • Haben jüngere Betroffene einen besonderen Hilfebedarf?

Sie haben zumindest andere Fragestellungen als Men­schen im Rentenalter. Da geht es um berufliche Wie­dereingliederung, häufig auch um Fahrverbote, weil sie beruflich auf den Pkw angewiesen sind. Diese The­men haben wir mehrfach in der Woche.

 

  • Jüngeren Menschen, die schwer betroffen sind, bleibt manchmal keine andere Alternative als das klassische Pflegeheim...

Das ist eine besondere Herausforderung. In Ballungs­räumen gibt es bereits gute Angebote, auf dem Land sieht das noch anders aus. Aber auch für uns Lotsen steht die Suche nach Unterstützungsmöglichkeiten in den eigenen vier Wänden ganz oben auf der Agenda. Und unsere Patienten kommen zu fünfzig Prozent sel­tener in die stationäre Pflege als andere.

 

  • Aber die meisten Patienten haben keinen Lot­sen...

Richtig, aber wenn man sich intensiv auf die Suche macht oder gute Beratungsstellen hat, ist vieles mög­lich. Bei uns in Dresden ist zum Beispiel ein Netzwerk gewachsen, das heißt „Stammtisch Kopfsache“. Da treffen sich Akteure, die sich in der regionalen Versor­gung vernetzen möchten. Ähnliche Netzwerke gibt es auch in anderen Regionen, danach sollte man die Au­gen offenhalten.

 

  • Wo erleben Sie in Ihrem Alltag häufig einen be­sonderen Hilfebedarf?

Kognitive Veränderungen werden von den Betroffenen oft quälender empfunden als körperliche Behinderun­gen. Für das motorische Training gibt es viele Methoden und Geräte, die es so für kognitive Störungen nicht gibt. Die Akzeptanz des Umfeldes ist bei sichtbaren Einschränkungen deutlich höher als bei unsichtbaren.

 

  • Viele Angehörige beobachten psychische Ver­änderungen und wissen keinen Rat.

Ja, Depressionen sind sehr häufig. Auch aggressives Verhalten erleben wir, aber nicht ganz so oft. Hirnor­ganische Veränderungen können das Verhalten enorm verändern. Der Hausarzt sollte erster An­sprechpartner sein, er kann zu Fachärzten überwei­sen. Mit der Suche nach speziellen Hilfeangeboten ist er aber zeitlich überfordert. In vielen Bundeslän­dern gibt es Pflegestützpunkte. Die können ein An­laufpunkt für Beratung sein.

 

  • Von Angehörigen hören wir immer wieder, dass eine eingeschränkte Kommunikation eine große Herausforderung ist.

Ja, bei einer globalen Aphasie fällt der Alltag oft schwer. Ich hatte eine Patientin, die sich mittels Sprachcomputer verständigt hat. Technische Hilfsmit­tel sind an der Stelle ein Segen. Für die Entlastung der Angehörigen kann die Nachbarschaftshilfe ein Ansatz sein und natürlich die Selbsthilfe.

 

  • Ist Selbsthilfe der Ausweg, wenn übliche Hilfen nicht greifen?

Selbsthilfe ist weit mehr als das. Ich empfehle oft: Su­chen Sie den Austausch mit anderen Betroffenen. Die können aus eigener Erfahrung sprechen, haben schon Antworten auf viele Fragen gefunden und kennen An­sprechpartner. Irgendeiner aus der Gruppe hat fast immer einen Tipp.

 

  • Welchen allgemeinen Rat würden Sie Betroffe­nen mit „besonderem Hilfebedarf“ auf den Weg geben?

Hartnäckig bleiben, Unterstützung einfordern! Sei es bei der Krankenkasse, der Beratungsstelle oder in der Arztpraxis. Und natürlich kann man sich mit seinen Fragen immer an das Service- und Beratungszentrum der Deutschen Schlaganfall-Hilfe wenden.

 

Herr Helbig, herzlichen Dank für dieses Gespräch.