Schicksal als Berufung

Meike Hörnke ist Teilhabe-Coach. Seit über 20 Jahren lebt die geborene Norddeutsche in München. Wie es sich anfühlt, einen Schlaganfall zu erleiden, hat sie am eigenen Leib erfahren. Hörnke hat in ihrem Schicksal eine Berufung erkannt und begleitet seitdem andere Betroffene zurück ins Leben.

Mario Leisle sprach mit ihr über Wendepunkte und was man daraus machen kann.

Meike Hörnke

Im Interview
Meike Hörnke
Teilhabe-Coach

  • Frau Hörnke, welche Menschen tun sich besonders schwer, einen Schlaganfall zu verarbeiten?

Menschen, die in ihrem vorherigen Leben schon Probleme hatten, ihr inneres Gleichgewicht zu finden, die eher ängstlich waren, tun sich erfahrungsgemäß schwerer mit solch ungewollten Veränderungen in ihrem Leben.

  • Ist es überhaupt möglich, aus so einer traumatischen Erfahrung Positives zu ziehen?

Ja, aber man braucht vor allem Zeit. Im ersten Schritt sind Betroffene schockiert. Es gibt ja das Modell der sogenannten Krankheitsphasen. Viele möchten die Krankheit akzeptieren, aber sie wissen nicht, wie sie es umsetzen sollen. Außerdem haben sie etwas erlebt, das ihnen Angst macht.

  • Liegt in der Krise tatsächlich eine Chance?

Ja, ganz klar! Eine Chance, verdeckte Fähigkeiten, die jeder in sich trägt, entdecken zu dürfen. Mit diesem Potenzial kann man verlorene Fähigkeiten kompensieren und sich ein neues Leben aufbauen. Es ist eine neue Welt, die sich da auftut. Meine Aufgabe als Coach und in der therapeutischen Arbeit ist es, den Menschen dafür die Augen zu öffnen.

  • Ist das ein Plädoyer dafür, einen Schlussstrich unter das alte Leben zu ziehen?

Das muss jeder für sich entscheiden. Nach einer gewissen Zeit werde ich vor die Frage gestellt, ob ich es akzeptiere, dass meine körperliche Rehabilitation keine Fortschritte mehr macht. Dass ich nicht die ganze Energie in meine Rehabilitation stecke, sondern sie dafür nutze, mich umzuorientieren.

  • Aber wir leben in einer Leistungsgesellschaft, da können Betroffene meist nicht mehr mithalten.

Das ist genau die Erkenntnis, dass ich lernen darf, mich nicht mehr vergleichen zu müssen. Ich darf mich auf mich konzentrieren. Rausfinden, was jetzt speziell für mich passt.

  • Gibt es spezielle Techniken, versteckte Ressourcen zu entdecken?

Bei Menschen mit starken Beeinträchtigungen bietet sich neben vielen weiteren Möglichkeiten auch die Imagination an. Der Rückblick auf den erfolgreichen Umgang mit früheren Herausforderungen, der als Ideengeber fungieren kann. Sich unter Anleitung daran erinnern, was einen früher begeistert hat, gerade auch als Kind. Weil wir in unseren jungen Jahren intuitiver und spontaner auf Freude ausgerichtet handeln. Und in der Regel genau das machen, wo wir unsere Stärken und Fähigkeiten haben.

  • Sie sprachen die Ängste an. Wie bekommen Menschen sie in den Griff?

Gerade die Angst vor einem wiederholten Schlaganfall ist oft stark ausgeprägt und behindert die Menschen im Alltag. Ich konfrontiere sie meist mit vielen Fragen, bis sie zu der Erkenntnis kommen: Ich hatte einen Schlaganfall, was soll mir da noch passieren? Ich bin der Meinung, dass auch ängstliche Menschen lernen können, mutiger zu werden.

  • Spielt Art oder Schwere des Schlaganfalls eine Rolle?

Vielleicht lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, aber aus meiner Sicht liegt der Verlauf des eigenen, wieder normalen und hoffentlich glücklichen Lebens langfristig an der eigenen Einstellung. Das ist völlig unabhängig.

  • Das Problem bei vielen Betroffenen ist, dass sie sich isolieren. Was kann man dagegen tun?

Was da hilft, ist letztlich das, was auch die Schlaganfall- Hilfe implementiert hat, nämlich mit anderen Schlaganfall-Betroffenen zu arbeiten, die einem Mut machen. Wer kann das besser als jemand, der es selbst erlebt hat?

  • Was raten Sie Angehörigen?

Ich würde auch als Angehöriger mal in eine Selbsthilfegruppe für Betroffene gehen. Angehörige möchten den Betroffenen zwar unterstützen, fühlen sich aber häufig hilflos, weil der Betroffene selbst noch gar nicht artikulieren kann, was er eigentlich braucht. Da kann man aus so einer Gruppe viel mitnehmen.

 

Frau Hörnke, vielen Dank für das Gespräch.