Netzwerk für erworbene Hirnschädigungen
Es ist ein einschneidendes Ereignis, wenn ein Mensch durch einen Schlaganfall oder ein Schädelhirntrauma nicht mehr sprechen oder laufen kann. Noch belastender für Angehörige sind häufig Wesensveränderungen aufgrund einer Hirnschädigung. Sie können so gravierend sein, dass zuvor stabile Ehen auseinanderbrechen oder Familien überfordert sind. Um diese Problematik ging es bei einer Fachtagung des Bundesnetzwerks „Beratung für Menschen mit erworbener Hirnschädigung“ (BNB-MeH) in Würzburg.

Persönlichkeitsveränderungen sind organisch bedingt
Nach einem Schlaganfall oder Schädelhirntrauma gerät das Leben oft völlig aus dem Takt. Betroffene sind auf die Unterstützung ihrer Angehörigen angewiesen. Die helfen gerne, wollen alles dafür tun, dass es dem Partner, dem Vater oder der Mutter wieder besser geht. Die mit der Erkrankung einhergehende Verhaltensveränderung sorgt jedoch für schwere Belastungen auf dem gemeinsamen Weg. Angehörige können die eigentümliche, beunruhigende Wesensänderung zunächst oft nicht einordnen. Der früher stets entschlossene Partner hat zum Beispiel plötzlich keinerlei Antrieb mehr. Angehörigen müsse in einer solchen Situation bewusst gemacht werden, dass dies nicht Bequemlichkeit oder mangelnde Motivation sei. Darauf verwies Wolfgang Kühne, Leitender Psychologe der Asklepios Klinik in Schaufling. Es handele sich auch nicht um ein psychologisches Problem, sondern habe organische Ursachen. Vor allem dann, wenn der Frontallappen des Gehirns verletzt ist, kann es zur sogenannten Organischen Persönlichkeitsstörung kommen.
Neuropsychologische Versorgung ausbauen
Die Wesensveränderung ist oft dadurch gekennzeichnet, dass sich Betroffene nun ganz anders verhalten als gewohnt. Es kann schockierend für das Umfeld sein, wenn ein früher zurückgezogen lebender Mensch plötzlich extrovertiert, impulsiv oder gar unfähig ist, soziale Regeln wie die angemessene Distanz zu seinen Mitmenschen einzuhalten. Typisch für die Organische Persönlichkeitsstörung ist zudem, dass die Betroffenen ihr verändertes Verhalten selbst kaum erkennen oder reflektieren können. Ihnen fehlt die Einsichtsfähigkeit, was alle Beteiligten in der Versorgungskette vor immense Herausforderungen stellt, nicht zuletzt die Angehörigen. Das BNB-MeH appelliert deshalb, in den Ausbau der neuropsychologischen Versorgung nach Hirnverletzung zu investieren. Geschieht dies nicht, droht Angehörigen der Pflege-Burnout.
Angehörige benötigen Unterstützung
Es bräuchte viel mehr niedergelassene Neuropsychologinnen und -psychologen, appelliert auch BNB-MeH-Mitglied Beate Hechtle-Frieß vom Zentrum für Aphasie & Schlaganfall Unterfranken. Dringend ausgebaut werden müsste zudem die Logopädie, Sprachtherapeutinnen und Sprachtherapeuten sollten zur Organischen Persönlichkeitsstörung geschult werden.
Das Frontalhirnsyndrom stellt eines der am schwierigsten zu beeinflussenden Syndrome von Hirnverletzungen dar.
Wichtig sind fundierte Informationen, konkrete Rückmeldungen und alltagstaugliche Anpassungen. Ein Appell der Tagung war auch, die oft hoch engagierten, aber ratlosen oder überforderten Angehörigen zu stärken. Angehörige wagten es von sich aus oft nicht, die Problematik anzusprechen. Zu sehr schämen sie sich für den Partner, der plötzlich aggressiv, gefühlsarm oder sozial distanzlos ist.
Netzwerk will Informationsangebote ausbauen
Insgesamt ist die Versorgungslandschaft für Menschen nach Schlaganfall oder einem Schädelhirntrauma bundesweit höchst unterschiedlich. “In Würzburg haben wir vielfältige Angebote”, sagt Beate Hechtle-Frieß. „In anderen Regionen mangelt es an Einrichtungen und Anlaufstellen. Betroffene müssen weit fahren, um Unterstützung zu erhalten.“ Wo es kostenlose, fachlich qualifizierte Beratung gibt, ist auf der Homepage des Bundesnetzwerks „Beratung für Menschen mit erworbener Hirnschädigung“ aufgeführt. Das Netzwerk gibt es seit zehn Jahren. Dem Zusammenschluss gehören spezialisierte Beratungsangebote an, die zum Beispiel an Wohn- oder Arbeitsprojekte gekoppelt sind. Auch klassische Beratungsstellen sind Teil des Netzwerks, ebenso wie die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe und die ZNS-Stiftung - Hilfe für Menschen mit Schädelhirntrauma. Die Mitglieder zielen darauf ab, das Informationsangebot für schädelhirnverletzte Personen und Therapeuten weiter auszubauen.
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