Am Anfang steht die Krise
Die ersten Wochen und Monate nach einem Schlaganfall, einem Schädelhirntrauma, einem Tumor oder einer Hirnblutung sind eine Tortur. Jeder, der dies durchmachen musste, kann das bestätigen. Doch es gibt heutzutage vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten. In zahlreichen Workshops wurden an den drei Kongresstagen Ideen präsentiert, angefangen von der „Kommunikativen Aphasietherapie“ über „Achtsames Atmen“ bis hin zur Peer-to-Peer-Unterstützung zur Steigerung der Lebensqualität. Auf besonders großen Anklang stieß das Podium mit Betroffenen und Angehörigen unter dem Titel „Von der Krise zur Stärke!?”
Eine Mutter mit Löwenmut
Betroffene wie Angehörige befinden sich nach dem Schlaganfall in einer tiefen Krise. Für Marina Fraas war es drastisch, plötzlich im Rollstuhl zu sitzen: “Ich war Leistungssportlerin, bin gerannt, habe Fußball gespielt.” Nicht laufen zu können, war für sie in den ersten Monaten noch viel schrecklicher als das Nicht-Lesen-Können. Ihren ganzen Ehrgeiz setzte die Studentin darein, den Rollstuhl wieder zu verlassen. Fast 14 Jahre liegt ihr Schlaganfall zurück. Marina Fraas hat inzwischen ein Psychologiestudium absolviert. Sie ist glücklich mit ihrem Mann Sebastian Uhlig verheiratet. Was sie alles schaffte, berichtete sie, habe sie nicht zuletzt ihrer Mutter zu verdanken. Die ist für Marina Fraas ein vorbildlicher Mensch. Einer mit beeindruckendem “Löwenmut”.
Viel Ehrgeiz war dabei
Er selbst sei Optimist, erklärte ihr Mann Sebastian Uhlig. Stets hatte er fest an seine einstige Freundin und jetzige Frau geglaubt. Die allerdings habe es ihm auch leicht gemacht durch ihren Ehrgeiz, so schnell wie möglich wieder laufen zu lernen. Entgegen den Erwartungen der Experten gab es diesbezüglich schon nach wenigen Monaten einen Quantensprung in der Therapie: Marina Fraas stand aus dem „Rolli“ auf.
Gewachsen am Schlaganfall
Iris Eilering, die vor zwei Jahren einen Schlaganfall erlitt, sitzt immer noch im Rollstuhl. Doch sie leidet darunter nicht. Durch die Erkrankung habe sie ein völlig neues Leben gewonnen, berichtete die 50-Jährige. Iris stammt aus schwierigen Familienverhältnissen. 20 Jahre lang sei ihr Leben ein Kampf gewesen. Durch den Schlaganfall seien viele “Schleier”, vor allem Illusionen und falsche Vorstellungen über das Leben, von ihrem Gesicht weggerissen worden. Dies, meint sie, sei total gut. Auch habe sie heute eine viel innigere Beziehung zu ihrem Sohn und ihrer Tochter. „Ich bin ebenfalls sehr an allem gewachsen“, bekannte ihr Sohn Joshua Lippka.
Es mangelt in der Nachsorge
Einen Schlaganfall zu erleiden, bedeutet für Betroffene und Angehörige eine Katastrophe von nie gekanntem Ausmaß, bestätigte Walter Huber in seinem Jubiläumsvortrag. „Die Betroffenen erleben harte Wochen auf der Intensivstation, schmerzlich finden sie heraus, dass sie nicht sprechen können“, so der Aphasie-Experte. Nach Akut- und Reha-Behandlung kommen sie nach Hause: „Die Familie ist aufgelöst.“ Nun wäre es wichtig, sich rasch an die richtige Adresse zwecks Weiterbehandlung zu wenden. Doch das sei schwierig: „Wir haben kein standardisiertes Nachsorgekonzept.“
Schlaganfall-Lotsen sind ein gutes Konzept
Dem Aachener Neurolinguisten zufolge verzeichnet die Medizin in Bezug auf Schlaganfälle eklatante Erfolge: „Die Akutversorgung ist auf einem sehr hohen Niveau, die Sterblichkeitsrate ging seit 1998 auf 60 Prozent zurück.“ Kein Ruhmesblatt hingegen sei der Umgang mit den Patienten. „Die körperlichen, kommunikativen, sozialen und emotionalen Folgen des Schlaganfalls werden nur selten beachtet“, kritisierte der Referent. Aphasiker leiden nach seinen Worten prinzipiell darunter, dass viele Bürger im Alltag nach wie vor wenig Toleranz gegen Menschen mit Einschränkungen zeigen. Zu Schlaganfall und Aphasie gesellten sich deshalb oft Depressionen. Hier, so Walter Huber, gebe es nach wie vor wenig Unterstützung: „Psychotherapie für aphasische Menschen haben wir kaum.“ Einen guten Ansatz zur Verbesserung der psychosozialen Situation stellt nach seiner Ansicht die Qualifizierung von „Schlaganfall-Lotsen“ dar. Die gelten in der Fachwelt jedoch als ineffektiv, da sie keine messbare Verbesserung in medizinischer Hinsicht bringen.
Intensive Sprachtherapie erforderlich
Dass rein das Medizinische und nicht die Steigerung an Lebensqualität durch die Schlaganfall-Lotsen überprüft wurde, findet Walter Huber skandalös. Er fordert die Fortführung des Projekts: „Vor allem müssten Schlaganfall-Lotsen einen Fokus auf Aphasie bekommen.“ Für die ambulante Therapie wünscht sich der Emeritus, dass die Teilhabewünsche der Patienten besser berücksichtigt werden.
Schließlich solle jeder eine intensive Sprachtherapie erhalten: „Wer sie im Moment zu bekommen versucht, ist mit bürokratischem Chaos konfrontiert.“ Die Selbsthilfe gelte es, zu stärken. Unbedingt vonnöten seien nicht zuletzt die Würzburger Aphasie-Tage: „Durch sie habe ich Menschen mit Aphasie mehr und mehr verstanden, danke, dass ich all die Jahre dabei sein durfte.“
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