Football ist sein Leben

Football ist sein Leben

Marcel Grabas spielt leidenschaftlich gerne American Football. Dass er einmal für die Hannover Grizzlies auf dem Feld stehen würde, war lange Zeit unvorstellbar. Mit acht Jahren hatte er einen Schlaganfall, lag im Koma und saß im Rollstuhl.

Der schicksalhafte Tag

Es ist ein Dienstag im November 2005. Ein Morgen, wie jeder andere – eigentlich. Marcel verspürt plötzlich quälende Kopfschmerzen. Der damals 8-Jährige schreit vor Schmerzen, sieht und hört nichts mehr – er wird ohnmächtig.  „Ich wusste überhaupt nicht, was los ist und habe ihn noch versucht aufzuwecken“, erinnert sich Mama Agniezska. Alle Versuche der besorgten Mutter, ihrem Sohn zu helfen, scheitern. „Mich hat die Angst gepackt“, gibt sie zu. Sie ruft den Krankenwagen. Die Einsatzkräfte treffen wenige Minuten später im Haus ein. „Sie hatten anfangs keine Vermutung, was es sein könnte“, berichtet die 55-Jährige. Marcel Grabas wird sofort in ein nahegelegenes Kinderkrankenhaus gebracht. Ein CT soll Licht ins Dunkel bringen, was dem kleinen Jungen fehlt. Die Schockdiagnose – Schlaganfall.

Ein bis dahin unentdecktes Hirn-Aneurysma ist geplatzt. Den Ärztinnen und Ärzten bleibt nur wenig Zeit. Marcel wird sofort notoperiert. Seine Schädeldecke muss geöffnet werden. „Nach sieben Stunden OP sagte der Arzt zu uns: Er wird zu 50 Prozent überleben“, erinnert sich Papa Andreas. Danach müssen die Eltern drei weitere, quälende Stunden um das Leben ihres Sohnes bangen. „Es waren die schlimmsten Stunden unseres Lebens“, sagte Mama Agniezska. „Das Stück Knochen haben die Ärzte mir in den Bauch eingesetzt und später wieder in den Schädel“, erklärt Marcel. Eine Narbe am Bauch und am Kopf erinnern ihn immer wieder daran.

Zurück ins Leben gekämpft

Marcel liegt mehrere Wochen im künstlichen Koma. Als er aufwacht, ist er halbseitig gelähmt. „Ich wusste nicht, was los gewesen ist. Ich habe mich nur gewundert, warum mein Arm so schwer ist und ich nicht sprechen kann“, erzählt der heute 26-Jährige. Die Prognose der Mediziner ist düster: „Manche haben gesagt, dass er für immer im Rollstuhl sitzen wird“, erzählt Agniezska. Marcel muss das Gehen und Sprechen neu erlernen. In der Reha macht er gute Fortschritte und jede Therapie mit. Ständig sagt er zu sich selbst: „Ich muss wieder wie früher werden.“ Und das wird er – fast jedenfalls. In der Schule verliert er den Anschluss, Freunde hat er nur wenige: „Viele haben mich wegen meiner Beeinträchtigungen ausgeschlossen.“ Lehrkräfte wollen ihn auf die Sonderschule abschieben. Seine Eltern kämpfen für ihn. Schließlich schafft Marcel seinen Realschulabschluss und arbeitet mittlerweile in der Produktion eines Automobilzulieferers.

 

Seit seinem Schlaganfall hat Marcel ein schielendes linkes Auge. „Ich sehe deswegen immer noch Doppelbilder – damit komme ich aber gut zurecht“, sagt er selbstbewusst. Was niemand sieht: Der junge Mann muss Antiepileptiker schlucken und darf kein Autofahren. Mit 14 bekam er seinen ersten epileptischen Anfall. „Unsere Sorge war riesig, dass es erneut ein Schlaganfall sein könnte“, erzählt seine Mutter.

Football als zweites Zuhause

Bei den Hannover Grizzlies hat Marcel ein zweites Zuhause gefunden. „Mit 16 bin ich mit einem Freund zum Training“, erzählt er. Grabas ist sofort Feuer und Flamme. Seine Eltern sind anfangs alles andere als begeistert. Immer wieder haben sie Bauchschmerzen, dass er sich erneut verletzen könnte. Doch die Ärzte geben grünes Licht. Seit acht Jahren steht er nun in der „Offensive Line“ und schmeißt sich ordentlich in die Gegner. Zur Erklärung: Die „Offensive Line“ ist die Linie von Spielern im American Football, die direkt vor dem Quarterback (Spielgestalter) steht. „Ich beschütze ihn sozusagen“, erklärt Marcel mit einem Schmunzeln. Seine Eltern sind heute die wohl stolzesten Fans.

Der Sport gibt dem Football-Verrückten Marcel immer wieder Kraft, er findet Freunde: „Ich habe 50 Brüder. Football ist Familie – und genauso fühlt es sich an.“ Mit den Grizzlies feiert er Erfolge, spielt zeitweise sogar in der 1. Mannschaft und gewinnt 2019 die Landesligameisterschaft. 18 Jahre nach seinem Schlaganfall möchte er mit seiner Geschichte anderen Mut machen.