Man sollte ein gutes Netzwerk haben

Anke Siebdrat hat als Ergotherapeutin viele Schlaganfall-Betroffene behandelt. Als Gesundheitswissenschaftlerin und erste Schlaganfall-Lotsin der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe begleitete sie zahlreiche Betroffene durch das erste Jahr nach ihrem Schlaganfall.

Heute gibt sie ihr Wissen in der Ausbildung neuer Case-Manager weiter. Mario Leisle fragte sie nach ihren wichtigsten Ratschlägen für Schlaganfall-Betroffene, die nicht das Glück haben, durch eine Patientenlotsin begleitet zu werden.

 

Anke Siebdrat

Im Interview:
Anke Siebdrat
Gesundheitswissenschaftlerin und Schlaganfall-Lotsin der Schlaganfall-Hilfe

  • Frau Siebdrat, nach einem Schlaganfall ist viel  zu organisieren...

...und oft bleibt dafür wenig Zeit, das ist die Herausforderung! Deshalb ist es so wichtig, dass Patienten ein Umfeld haben, das sie unterstützt. Sie müssen die Krankheit erst mal verarbeiten, müssen das Ganze sacken lassen und sich dann Gedanken machen, wie es weitergehen kann. Viele Informationen, die sie in der Akutklinik bekommen, können sie noch gar nicht aufnehmen.

 

  • Der Aufenthalt in der Akutklinik ist oft sehr kurz. Wie geht es weiter?

Die Ärzte entscheiden, ob ein Patient in die Reha kommt. Das sollte nach Möglichkeit eine spezialisierte neurologische Rehabilitation sein. Davon profitieren auch ältere Patienten. Ob jemand in die Reha kommt, entscheidet sich meist am sogenannten Barthel- Index. Dieser Index beschreibt, wie selbstständig ein Patient schon wieder ist. Dabei stehen die körperlichen Beeinträchtigungen im Vordergrund.

 

  • Welche weiteren Beeinträchtigungen können vorliegen?

Viele Patienten haben neuropsychologische Beeinträchtigungen: Konzentrationsstörungen, Orientierungsschwierigkeiten, kognitive Verluste. Die fallen in der Klinik häufig noch nicht auf. Wenn man den Verdacht hat, dass solche Störungen vorliegen, macht eine Reha auf jeden Fall Sinn, weil man das dort vernünftig abklären kann.

 

  • Was sollte man vor der Entlassung geregelt haben?

Man sollte ein gutes privates Netzwerk haben: Partner, Familie, Freunde, Nachbarn. Dabei sollte es eine Hauptansprechperson geben, schon in der Klinik. Sie sollte frühzeitig in alle Prozesse integriert werden, mit dem Sozialdienst im Gespräch sein, Kontakt aufnehmen zu Wohnberatung, Pflegedienst oder Sanitätshaus.

 

  • Die Person sollte also eine Lotsenfunktion übernehmen?

Im Grunde ja. Angehörige übernehmen oft diese Funktion und unterstützen Betroffene in den Dingen, die sie selbst nicht leisten können. Sie sind den Patienten am nächsten und kennen sie am besten.

 

  • Wie lässt sich sicherstellen, dass es nach der Entlassung mit den Therapien nahtlos weitergeht?

Wenn absehbar ist, dass der Patient noch Therapiebedarf haben wird, sollte man schon zur Mitte der Rehazeit Termine bei Therapeuten machen, denn die haben alle volle Terminkalender.

 

  • Wie finde ich die richtige Praxis?

Es gibt unterschiedliche Therapieausrichtungen. Wenn ich weiß, welche für mich die beste ist, kann ich mich gezielt auf die Suche machen. Man merkt einen Unterschied, wenn Therapeuten auf Schlaganfall spezialisiert sind. Ich sollte mich bei den Therapeuten in der Klinik informieren.

 

  • Wie ist es mit dem Eigentraining?

Ganz wichtig. Patienten sollten sich immer Hausaufgaben mitgeben lassen. Das wird zu selten gemacht. Der Transfer in die häusliche Umgebung ist wichtig. Und es ist toll, wenn Therapie möglichst alltagsnah erfolgt. Die Interessenschwerpunkte des Patienten herauszufinden und sich mit seinen Therapien immer nahe daran zu bewegen, ist ein ganz wesentliches Erfolgsrezept.

 

  • Bei vielen Patienten geht es darum, einen weiteren Schlaganfall zu verhindern. Was empfehlen Sie ihnen als erfahrene Patientenlotsin?

Ich würde Patienten raten, sich ihr Risikoprofil anzuschauen und Unterstützung im Umfeld zu suchen, die sie motivieren kann, ihren Lebensstil erfolgreich umzustellen. Ideal wäre, wenn man einen Hausarzt hat, der das unterstützt und ein gewisses Coaching übernimmt. Oder man wendet sich an seine Krankenkasse. Mittlerweile gibt es da Ansprechpartner, die einen unterstützen können. Die zum Beispiel Bewegungsangebote oder eine Raucherentwöhnung vermitteln und bezahlen.

 

  • Wo erfahre ich denn, welche Leistungen mir zustehen?

Wenn es um rechtliche Fragen zu Versorgungsleistungen geht, kann man sich zum Beispiel an den VdK wenden. Der ist eine gute Instanz, die einem viel Unterstützung geben kann gegen eine geringe Gebühr. Bei vielen Themen kann auch der Besuch einer Selbsthilfegruppe sehr hilfreich sein. Ich habe Gruppen in vielen Regionen kennengelernt, wo Patienten wirklich gute Tipps bekommen haben. Oft ist die Hemmschwelle groß, aber ich kann nur dafür plädieren, sich so eine Gruppe zumindest anzuschauen. Oft habe ich erlebt, dass die größten Skeptiker dann zu Befürwortern wurden.

 

  • Wo finde ich diese Gruppen?

Im Sozialdienst der Klinik sind sie oft bekannt. Auf der Website der Deutschen Schlaganfall-Hilfe finde ich darüber hinaus ganz viele Adressen und Informationen. Die Stiftung verfügt auch über regionale Partnerbüros, die Beratung vor Ort leisten. Es gibt vielfältige Angebote. Die Herausforderung ist meist, das richtige zu finden.

 

  • Oft hört man, dass Patienten die nach dem Schlaganfall wesensverändert sind, was zu Spannungen in der Familie führt. Welche Tipps gibt es da?

Patienten nehmen das häufig selbst wahr, können aber nicht gegensteuern. Sie haben sehr große Not, werden wütend, verzweifelt oder depressiv. Oft hilft es den Angehörigen schon, wenn sie wissen, dass es eine Auswirkung des Schlaganfalls ist. Es ist wichtig, diese Patienten und Familien aufzufangen, zum Beispiel durch einen Neuropsychologen, der die Situation analysiert und begleitet.

 

Frau Siebdrat, vielen Dank für das Gespräch!