Als Senior Blutgefäße wie ein Baby – geht das?

Tief im Urwald fanden Wissenschaftler eine medizinische Sensation – Menschen, die bis ins hohe Alter völlig jungfräuliche Blutgefäße aufweisen. Der Fund beweist einmal mehr: Lebensstil kann viel bewirken.

Es war ein Highlight der Jahrestagung der amerikanischen Kardiologen (ACC 2017) in Washington: In einer heroischen Studie haben US-Forscher über 700 Angehörige des bolivianischen Urwaldvolks der Tsimane per Computertomographie untersucht um zu sehen, wie stark verkalkt die Herzkranzgefäße sind. Noch nie zuvor wurde ein Volk mit so gesunden Arterien beschrieben. Bei 85 Prozent der Probanden fand sich in der CT-Untersuchung überhaupt kein Hinweis auf Arterienverkalkungen, und bei weiteren 13 Prozent waren nur minimale Verkalkungen zu entdecken. Würden nur die über 75-jährigen berücksichtigt, waren die Quoten kaum anders.

Lebensstil hat enormen Einfluss

Nur zum Vergleich: In westlichen Industrienationen finden sich in Kohorten vergleichbaren Alters nur bei 15 Prozent der Menschen gar keine Verkalkungen der Herzkranzgefäße, und jeder zweite hat mittel- oder hochgradige Verkalkungen. Wie kommt dieser Unterschied zustande? Die Forscher tippen auf Unterschiede bei Ernährung und körperlicher Bewegung. Die Tsimane sind zwar kein Jäger- und Sammler-Volk, sondern sesshaft. Sie verbringen aber trotzdem nur ein Zehntel des wachen Tages körperlich inaktiv. Der Durchschnitterwachsene bei uns kommt auf deutlich über 50 Prozent. Die Tsimane rauchen kaum, sie essen relativ wenig Fett und nehmen viele, überwiegend ballaststoffreiche Kohlenhydrate zu sich. Eiweiße kommen im Wesentlichen von Fischen, zu einem geringeren Anteil von selbst gejagtem Wild. Das Ganze führt unter anderem zu niedrigen Cholesterinspiegeln. Auch sind nur sehr wenige Tsimane übergewichtig, und nur jeder zehnte bis zwanzigste hat hohen Blutdruck. (Quelle: Kaplan H., Lancet, 17. März 2017

Ist demnach ein eher steinzeitlicher Lebensstil der einzig wahre Jungbrunnen für die Blutgefäße und damit das Mittel der Wahl, um Herzinfarkte und Schlaganfälle zu verhindern? Schwer umzusetzen, sicherlich. Aber die Untersuchung zeigt schon, dass der Lebensstil zumindest langfristig enormen Einfluss hat – bis ins hohe Alter.

Neuer Cholesterinsenker

Wer das mit dem Lebensstil nicht hinbekommt, könnte über Cholsterinsenker nachdenken, quasi die medikamentöse Variante des Jungbrunnes für Blutgefäße. Auch hier gab es Neues in Washington. In der FOURIER-Studie wurde ein neuer Cholesterinsenker evaluiert, Evolocumab, ein PCSK9-Hemmer. Es handelt sich um einen Antikörper, der gespritzt wird und der das „böse" LDL-Cholesterin mal eben um knapp 60 Prozent absenkt – bei Patienten, die schon Statine einnehmen, wohlgemerkt. Die FOURIER-Studie hat gezeigt, dass dies mit 20 Prozent weniger Herzinfarkten und Schlaganfällen einhergeht. 

Quelle: Sabatine MS, New England Journal of Medicine, 17. März 2017

Therapie auch jenseits der 65

Und was heißt das jetzt? Die LDL-weg-Spritze für alle, die nicht auf Steinzeit machen wollen? Eher nicht. Antikörper taugen nicht als Massenmedikamente. Sie richten sich an Höchstrisikopatienten, vor allem nach Herzinfarkt, eventuell auch nach Schlaganfall. Die Botschaft von FOURIER für die breite Versorgung lautet, dass das LDL-Cholesterin ernst genommen und – wenn nötig – abgesenkt werden muss, und zwar primär durch gut verträgliche und kostengünstige Statine. Auch im Alter? Auch im Alter. Zwar gilt bei der Cholesterinsenkung ähnlich wie beim gesunden Lebensstil: Je früher desto besser. Es gibt aber genug Studien, die zeigen, dass auch Menschen jenseits der 65 einen Nutzen haben, wenn das Cholesterin gesenkt wird.

Fazit

Auch im 21. Jahrhundert ist es möglich, sich mehr zu bewegen und sich gesünder zu ernähren, notfalls mit Hilfe von Apps. Die Tsimane zeigen, dass diese Strategie Blutgefäße bis ins hohe Alter jung hält. Statine sind der zweitbeste Jungbrunnen für Blutgefäße, auch im Alter, und seit März ist klar, dass auch cholesterinsenkende Antikörper Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern können.