Experten-Interview zum Notfall Schlaganfall

Bei einem Schlaganfall zählt Minute, sagt Dr. Markus Wagner von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. Doch während die Behandlung in den Kliniken immer schneller wird, geht viel Zeit bereits vor dem Krankenhaus verloren, wie Auswertungen  der regionalen Schlaganfall-Register in Deutschland zeigen.

Matthias Bröenhorst sprach mit dem Gesundheitswissenschaftler und Versorgungsforscher über die Gründe.

 

  • Es heißt immer: „Zeit ist Hirn“ – warum ist eine schnelle Schlaganfall-Versorgung so wichtig? 

Je kürzer die Zeitspanne zwischen Auftreten der Symptomatik, notfallmedizinischer Versorgung, Transport in eine Schlaganfall-Station (Stroke Unit) und anschließende Behandlung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein verschlossenes Blutgefäß als Hauptursache des Schlaganfalls durch akutmedizinische Therapieverfahren wie Thrombolyse oder Thrombektomie erfolgreich wieder eröffnet werden kann. Man spricht hier auch von Reperfusion des betroffenen Hirnareals, das heißt: Die notwendige Versorgung mit Blut und Sauerstoff wird wieder hergestellt. Dadurch sterben weniger Hirnzellen aufgrund des Schlaganfalls ab. Die Wahrscheinlichkeit für das Überleben und möglichst geringe Folgeschäden und Beeinträchtigungen durch den Schlaganfall steigt deutlich. Aber auch die blutungsbedingten Schlaganfälle (Hirnblutung) sind sehr kritische und lebensbedrohliche Notfälle, die möglichst schnell in einem Schlaganfall-Zentrum behandelt werden müssen.

 

  • In den Kliniken werden seit Jahren die Abläufe optimiert, um Patientinnen und Patienten so schnell wie möglich behandeln zu können. Mit Erfolg?  

Die Frage kann eindeutig mit ja beantwortet werden. Die durchschnittliche “door to needle time” bei der Thrombolyse, also die Zeit vom Eintreffen der Patientinnen und Patienten in der Schlaganfall-Station bis zum Start der Behandlung, konnte in den letzten Jahren stetig verkürzt werden. Sie lag im Jahr 2021 im hessischen Schlaganfall-Register bei 33 Minuten (Medianwert). Ähnliche Verbesserungen konnten für die Prozesse rund um die Thrombektomie erzielt werden. 

Die Lyserate lag in Deutschland im Jahr 2021 bei 16,3 Prozent. 8,4 Prozent der Patientinnen und Patienten konnten eine Thrombektomie erhalten. Damit steht Deutschland im internationalen Vergleich sehr gut da. Zumal es bei uns über 340 zertifizierte Schlaganfall-Stationen gibt, in denen Schlaganfälle nach geprüften Standards der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft und der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe versorgt werden.

 

  • Was unterscheidet die Thrombolyse von der Thrombektomie?

Bei der sogenannten Thrombolyse, auch „Lyse“ abgekürzt, wird ein Medikament verabreicht, das das Gerinnsel auflösen soll, welches eine Hirnarterie verstopft. Bei der Thrombektomie wird hingegen das Gerinnsel im Gehirn durch einen Katheter entfernt und abgesaugt. Sie kann zum Beispiel bei größeren Blutgerinnseln und in einem verlängerten Behandlungszeitraum eingesetzt werden.  

 

  • Eine neue Studie aus den USA zeigt nun: Schon vor dem Eintreffen in der Klinik geht viel Zeit verloren. Nur ein Viertel der Patienten kommt innerhalb der ersten zwei Stunden nach Symptombeginn in die Klinik. Warum ist das so? 

Das ist sicherlich weltweit zu beobachten und hat unterschiedliche Gründe. Regionale Rettungswege sind unterschiedlich lang und müssen vor Ort gut abgestimmt sein, aber auch die Bevölkerung und die Betroffenen können etwas tun und bei Verdacht auf Schlaganfall nicht zögern und unmittelbar den Notruf 112 wählen.

 

  • Was kann das medizinische System tun, um die Zeit zwischen Schlaganfall und dem Behandlungsbeginn so kurz wie möglich zu halten? Muss umgedacht werden? 

Wie bereits beschrieben kann durch das Festlegen von Standards, die stetige Prozessverbesserung, eine gute Dokumentation und Qualitätssicherung viel erreicht werden und wurde schon erreicht. Hier zeigen die deutschen Registerdaten Erfolge zum Beispiel beim Erreichen der geforderten Rekanalisationsraten – also die Wiedereröffnungsraten eines Verschlusses der hirnversorgenden Arterien in den Schlaganfall-Stationen.    
 

  • Was sollten die Menschen über den Schlaganfall wissen? 

Man sollte sich mit den Symptomen vertraut machen und die richtigen Schritte im Notfall kennen. Dazu gehört auch, bei Absetzen des Notrufs den Verdacht auf Schlaganfall zu äußern und gegebenenfalls, wenn bekannt, den Zeitpunkt des Einsetzens der Symptome angeben.  

 

  • Muss man das gebetsmühlenartig wiederholen, damit es nicht in Vergessenheit gerät?  

Aus meiner Sicht ist Wiederholung auf jeden Fall sinnvoll, da Wissen nur eine geringe Halbwertszeit hat. Jede „Generation” benötigt erneute Ansprache mit spezifischen Medien. Die Kernbotschaft bleibt aber immer die gleiche: Jeder Schlaganfall ist ein Notfall! Bei Verdacht unbedingt sofort den Notruf wählen.

 

  • Welche Symptome sind typisch für einen Schlaganfall?

Wie der Name schon sagt: Ein Schlaganfall tritt plötzlich, also von einer Sekunde auf die andere, auf und macht sich durch Lähmungen oder Taubheitsgefühle in Armen oder Beinen bemerkbar, meist in einer Körperhälfte. Typisch für einen Schlaganfall sind auch akute Sprach-, Sprech- oder Sehstörungen, aber auch plötzlich auftretender Schwindel, Gleichgewichtsstörungen oder sehr starke Kopfschmerzen können durch einen Schlaganfall verursacht werden. 

 

  • Wie kann man als Laie einen möglichen Schlaganfall erkennen? 

Als Schlaganfall-Hilfe empfehlen wir den FAST-Test. Mit drei einfachen Fragen zu den häufigsten Schlaganfall-Symptomen können Laien in kürzester Zeit den Verdacht auf einen Schlaganfall überprüfen. Den Test gibt es auch als kostenlose App in den jeweiligen App-Stores. Darüber hinaus sollte man seine Erste-Hilfe-Kenntnisse regelmäßig auffrischen, um im Notfall richtig handeln zu können. In den Erste-Hilfe-Kursen werden der Schlaganfall und andere medizinische Notfälle besprochen und über Sofortmaßnahmen informiert. 

 

 

Herr Dr. Wagner, herzlichen Dank für dieses Gespräch.