Nach dem Schlaganfall: Wie lassen sich Bewegungsstörungen wirksam behandeln?
Alle Fragen rund um die Behandlung von Bewegungsstörungen beantworteten im Mai 2024 die Expertinnen und Experten der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe in der Sprechzeit:
- Privatdozent Dr. med. John-Ih Lee, Leitender Oberarzt, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Sprecher des Neurovaskulären Netzwerkes Nordrhein plus (NEVANO+)
Dr. Tristan Kölsche, Assistenzarzt, Uniklinik Düsseldorf - Jochen Steil, Leiter Technische Orthopädie, Orthopädie Brillinger, Tübingen
- Susann Schutter, Leitende Physiotherapeutin, P.A.N. Zentrum für Post-Akute Neurorehabilitation, Berlin
- Tina Laborn, Bachelor Professional of Health & Social Services, Inhaberin Hand- und Ergotherapie Laborn GbR, München
- Gabriele Reckord, Fachanwältin für Medizinrecht und Familienrecht, Mediatorin, Gütersloh
Rund 1,8 Millionen Menschen leben in Deutschland mit den Folgen eines Schlaganfalls – und jährlich kommen mehr als 270.000 Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten hinzu. Ein Schlaganfall ist bei Erwachsenen die häufigste Ursache für Behinderungen: Rund 60 Prozent der Betroffenen sind ein Jahr danach auf Therapie, Hilfsmittel oder Pflege angewiesen. Besonders häufig sind Menschen nach einem Schlaganfall von Bewegungsstörungen betroffen: Mehr als die Hälfte der Patientinnen und Patienten leiden unter Lähmungen oder Verkrampfungen – medizinisch Spastiken genannt. Diese Folgen stellen besondere Anforderungen an die Nachsorge: Zum einen ist eine schnelle, intensive und spezialisierte Rehabilitation unmittelbar nach dem Schlaganfall wichtig, zum anderen das Ausschöpfen aller Behandlungsmöglichkeiten auch lange nach dem Schlaganfall.
Defizite in der Schlaganfall-Nachsorge
Wer in Deutschland einen Schlaganfall erleidet, kann sich auf eine hervorragende Erstversorgung verlassen. Bis heute haben die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft 348 Schlaganfall-Spezialstationen, so genannte Stroke Units, zertifiziert. Die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu überleben, hat sich in den vergangenen 30 Jahren in etwa verdoppelt. Entsprechend gestiegen sind die Anforderungen an die Nachsorge – und hier besteht nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe Nachholbedarf: Zu wenige Patientinnen und Patienten erhielten zum Beispiel nach der Akutbehandlung eine spezialisierte neurologische Rehabilitation, in der Bewegungsstörungen nach neuesten Erkenntnissen behandelt werden. Auch bei der Therapie von Spastiken hätten zu wenige Betroffene Zugang zu einer leitliniengerechten Behandlung.
Schlaganfall-Folgen schnell, gezielt und dauerhaft behandeln
Unmittelbar nach einem Schlaganfall ist die Fähigkeit des Gehirns noch groß, neue Verbindungen zu schaffen und die durch den Schlaganfall zerstörten Strukturen zu ersetzen. Verloren gegangene Fähigkeiten wie das Gehen oder Greifen lassen sich im ersten halben Jahr besonders gut neu erlernen. Voraussetzung dafür ist eine schnelle, intensive und spezialisierte Rehabilitation. Moderne Reha-Kliniken und -zentren setzen dabei zum Beispiel auf Robotik-gestützte Therapien. Bewegungsroboter ermöglichen in Verbindung mit Computerspielen ein intensives Training, bei dem Bewegungen spielerisch hochfrequent und ausdauernd wiederholt werden. Doch solche innovativen Therapieangebote erreichen bisher noch zu wenige Betroffene. Versorgungslücken gibt es auch bei langfristigen Behandlungsangeboten. Selbst nach Jahren können heute verfügbare Intensivtherapien Fortschritte bringen. Die Realität sieht für viele Betroffene jedoch anders aus: Sie erhalten in der Regel zwei kurze Therapieeinheiten pro Woche – deutlich zu wenig, um Fortschritte zu erzielen.
Behandlung von Spastiken unzureichend
Neben Lähmungen zählen Spastiken zu den häufigsten körperlichen Folgen eines Schlaganfalls. Die unwillkürlichen Muskelverkrampfungen an Armen und Beinen treten meist erst einige Zeit nach dem Schlaganfall auf und können die Mobilität und Selbstversorgung erheblich beeinträchtigen. Für die Betroffenen stellen Spastiken eine zusätzliche große Belastung dar und können sich verschlimmern, wenn sie nicht schnell und ausreichend therapiert werden. Bei der Behandlung von Spastiken hat die Medizin in den vergangenen Jahren bedeutende Fortschritte erzielt. Die aktuellen Leitlinien sehen zur Behandlung lokal begrenzter Spastiken regelmäßige Physio- und Ergotherapie sowie den Einsatz von Botulinumtoxin als Injektionstherapie sowie eine adäquate Hilfsmittelversorgung vor. Doch nur ein Bruchteil aller Betroffenen, die von dieser Kombinationstherapie profitieren könnten, erhalten sie auch. Zu selten werden Patientinnen und Patienten mit Spastiken an spezialisierte Neurologen oder Botulinumtoxin-Ambulanzen überwiesen.
Bewegungsstörungen nach Schlaganfall – Expertinnen und Experten am Lesertelefon
- Wann sollte eine Rehabilitation nach einem Schlaganfall beginnen?
- Was zeichnet eine spezialisierte neurologische Reha aus?
- Wie komme ich an einen Platz in einer solchen Reha-Einrichtung?
- Wie stelle ich sicher, dass Spastiken wirksam behandelt werden?
- Mein Schlaganfall liegt Jahre zurück – welche Therapieangebote stehen mir noch zur Verfügung?
- Wie finde ich eine Einrichtung für eine Intensivtherapie – und wer übernimmt die Kosten?
- Wo kann ich mich über Therapiemöglichkeiten und Hilfsmittel informieren und wer unterstützt bei der Antragstellung?
Die Expertinnen/Experten am Lesertelefon informieren umfassend und neutral, stellen jedoch keine telefonischen Diagnosen und sprechen keine konkreten Therapieempfehlungen aus. Persönliche Daten der Anruferinnen/Anrufer werden nicht gespeichert bzw. aufgenommen.
Dieses Lesertelefon wurde von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe initiiert und wird von Ipsen Pharma unterstützt.
Quellen:
- AWMF online, S. 114 ff.
- Journal MED
- Deutsche Hirnstiftung: www.hirnstiftung.org
- CME-Verlag – Fachverlag für medizinische Fortbildung