Man sollte nie aufgeben

Man sollte nie aufgeben

Wenn er auf seinem Dreirad durch Stuttgart fährt, schauen sich die Leute schon mal um. Sein Rad? Ein echter Hingucker! Die Geschichte hinter Stefan Bielack ist noch beachtlicher.

Es war ein Montagmorgen vor gut drei Jahren. Bielack wollte etwas schreiben, doch sein rechter Arm machte nicht mit. Als Mediziner war ihm klar: Das könnte ernst werden. Er rief ein Taxi und ließ sich in die Klinik bringen, wo sein Chefarztkollege in der Neurologie gleich die Behandlung einleitete. Als Professor für Kinderheilkunde leitete Stefan Bielack eine der größten Kinderonkologie-Kliniken Deutschlands. An diesem Tag, dem Tag seines Schlaganfalls, begann sein neues Leben.

Mit sechzig bist du im Altenheim!

„Zunächst war ich rechtsseitig vollständig gelähmt und geistig schwer beeinträchtigt“, erinnert er sich an die ersten Tage danach. „Das war kurz vor meinem sechzigsten Geburtstag und ich dachte: Das war’s also! Mit sechzig bist du im Altenheim!“ Wenn Stefan Bielack sich daran erinnert, liegt kein Selbstmitleid in seiner Stimme. Als Kinderonkologe publizierte er weltweit in den wichtigsten Wissenschaftsjournalen seines Fachs. Mit derselben Sachlichkeit analysiert er seine eigene Krankengeschichte, beinahe so, als ginge es nicht um ihn selbst.

 

Erst wenn er auf seine Fortschritte in der Rehabilitation zu sprechen kommt, hebt sich seine Stimme. „Es ist für mich fast schon unglaublich, wie sich meine körperlichen und geistigen Funktionen entwickelt haben und nach so langer Zeit immer noch weiterentwickeln“, sagt er mit Blick auf die vergangenen drei Jahre. Erst drei Monate nach seinem Schlaganfall konnte er am Stock gehen. Der Arm brauchte deutlich länger für die ersten Fortschritte. Lesen war eine große Herausforderung, weil sowohl das Sehen als auch das Erinnerungsvermögen stark beeinträchtigt waren.

Kinder als leuchtende Beispiele

Vor seinem Schlaganfall war Bielack begeisterter Sportler. Er schwamm fünf Kilometer und fuhr dreihundert Rennradkilometer am Stück. „Das war nicht immer Spaß, aber ich wusste, dass es sich lohnt. Selbstmitleid ist mir fremd.“ So verordnete er sich auch nach dem Schicksalsschlag ein ambitioniertes Trainingsprogramm. In der Coronazeit lief er täglich drei bis vier Stunden am Stock. „Während der Zeit meiner größten Behinderungen waren mir die krebskranken Kinder, die selbst schwere und schwerste gesundheitliche Beeinträchtigen meistern mussten, sozusagen leuchtende Beispiele gewesen.“

Bielacks positive Botschaft an alle Betroffenen lautet: Fortschritte sind auch lange Zeit nach dem Schlaganfall noch möglich! Zwei Jahre danach wagte er sich wieder auf ein Fahrrad. „Das hat mir sehr geholfen – ein Spezialdreirad, mit E-Hilfsantrieb, mit dem mein motorischer und auch geistiger Horizont sich ganz erheblich erweitert haben.“ Seine wiedergewonnene Leistungsfähigkeit nutzte Bielack im vergangenen Sommer für eine gute Sache. Auf einer Tour rund um Stuttgart sammelte er Spenden für chronisch kranke Kinder im Sozialpädiatrischen Zentrum des Klinikums Stuttgart.

Späte Fortschritte sind möglich

Die erste Tour hatte gut geklappt. Davon ermutigt, setzte er sich neue Ziele. Er fuhr die Donau flussabwärts und besuchte Kinderkrebskliniken entlang des Weges, die er kannte: in Regensburg, Linz, Wien, Bratislava und Budapest. Unterwegs sammelte Bielack erneut Spenden für den Förderkreis krebskranke Kinder Stuttgart e. V. Der begleitete seine Tour in den sozialen Medien.

 

Früher hatte der Professor eine Arbeitswoche von oft achtzig bis hundert Stunden. Jetzt führt er ein anderes Leben, doch er hadert keine Sekunde damit. Stefan Bielack macht weiter, saß auch den Winter über auf seinem Rad. Er weiß, er kann noch immer neue Ziele erreichen. „Wenn heute immer noch behauptet wird, dass nach einem Jahr Rehabilitation nichts mehr geht, kann ich nur sagen: Das stimmt nicht, überhaupt nicht! Man sollte nie aufgeben.“