Alleine ist man überfordert

"Alleine ist man überfordert"

Das Leben nach dem Schlaganfall hält viele Herausforderungen bereit. Ehrenamtliche Schlaganfall-Helfer können unterstützen, sie zu meistern, wie die Geschichte von Rainer Tiemeyer zeigt.

Schulungen für Ehrenamtliche

2019 las Rainer Tiemeyer eine Anzeige: "Interessenten für die Ausbildung zum Ehrenamtlichen Schlaganfall-Helfer gesucht!" Davon hatte der gelernte Bäcker- und Konditormeister und Beikoch noch nie etwas gehört. Im "Unruhestand" suchte der Niedersachse nach einer sinnstiftenden Tätigkeit, also ging er hin. Der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes in Melle organisierte die Schulung in Kooperation mit der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. Letztere hatte das Modell der ehrenamtlichen Schlaganfall-Helfer 2012-2015 entwickelt und erprobt. Seitdem sucht die Stiftung bundesweit Partnerorganisationen wie das DRK, die die Einsätze der Helfer vor Ort koordinieren.

Sanitätshaus war Initiator

In Melle kam die Schulung auf Initiative eines Sanitätshauses zustande. RAS war bereits in dem gemeinsamen Projekt "Qualifizierte Hilfsmittelversorgung nach Schlaganfall" eng mit der Schlaganfall-Hilfe verbunden. In den Beratungsgesprächen zur Hilfsmittelversorgung bemerkten die Mitarbeitenden, dass die Probleme ihrer Kundinnen und Kunden weit über den Hilfsmittelbedarf hinausgingen. Da kam das Projekt der Schlaganfall-Helfer gerade recht, RAS vermittelte den Kontakt zum DRK.

Vielfältige Unterstützung durch Schlaganfall-Helfer

Rainer Tiemeyer absolvierte mehrere Schulungen, in denen er die Grundlagen der Erkrankung kennenlernte, Kommunikation mit Betroffenen, sozialrechtliche Aspekte und das Hilfenetzwerk in seiner Region. So gewappnet nahm er Kontakt zu Betroffenen auf, den das DRK vermittelte. Bis heute betreute er fünf "Mandanten", wie er sie nennt. "Jeder Mensch und jeder Fall ist anders", weiß Tiemeyer. Einmal hat er einen Familienzwist geschlichtet, ein anderes Mal erfolgreich einen Rentenantrag gestellt. Einem dritten Mandanten vermittelte er einen Landschaftsgärtner, der "für kleines Geld" die Stufe zum Garten beseitigte. Werner Schulze (Name von der Redaktion geändert) schließlich, seinen aktuellen Mandanten, unterstützt er beim Sprachtraining.

Rainer Tiemeyer hat sich selbst einen Koffer zusammengestellt mit Übungsmaterial für seine Mandanten. Mit Werner Schulze zum Beispiel, der an einer Sprachstörung leidet, macht er häufig ein Buchstabenspiel.

Schlaganfall hinterlässt Folgen

Der Selbstständige erlitt vor drei Jahren eine schwere Hirnblutung. 61 Jahre alt war der damals. Die körperlichen Behinderungen bildeten sich im Laufe der Zeit zurück. Was geblieben ist, sind neuropsychologische Störungen. Schulze fehlen oft die richtigen Worte, er leidet unter einer Aphasie und geht weiterhin zur Sprachtherapie. Auch seine Aufmerksamkeit und die Konzentration haben gelitten. Als Selbständiger fuhr er früher 100.000 Kilometer pro Jahr mit seinem Auto durch das Land. Heute darf er nicht mehr ans Steuer, will es auch gar nicht mehr. "Ich fühle mich unsicher", sagt er.

Entlastung für Angehörige

Auch für seine Ehefrau hat sich das Leben radikal geändert. Selbst noch berufstätig, muss sie ihren Mann dennoch zu allen Terminen fahren. "Außerdem kann er sich durch seine Aphasie nicht immer richtig verständigen, deshalb muss ich zum Beispiel auch zu Arztterminen mitgehen. Das war gerade in der Corona-Zeit schwierig", sagt sie. Dass Rainer Tiemeyer sich bei Werner Schulze meldete und zwischen den beiden die Chemie vom ersten Tag an stimmte, freut sie sehr. Einerseits für ihren Mann, der mit Tiemeyer nun sämtliche Cafés der Region kennenlernt, aber auch für sie selbst. "Ich kann einfach mal abschalten und ein paar Dinge für mich in Ruhe erledigen", sagt sie.

Wie machen das Alleinstehende?

Cordula Schulze (Name von der Redaktion geändert) ist dankbar für diese Unterstützung. Viele Informationen hat sie sich vorher selbst mühsam im Internet zusammensuchen müssen, wichtige Hilfen dabei auch bei der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe gefunden. Finanziell geht es dem Ehepaar glücklicherweise gut, und die Kinder sind schon groß. Insofern schauen beide – trotz des Schicksalsschlages – einigermaßen zuversichtlich in die Zukunft und hoffen, dass Werner Schulze noch weitere Fortschritte in der Rehabilitation macht. "Aber man fällt plötzlich in ein Loch", erinnert sie sich an die erste Zeit nach dem Schlaganfall. "Ich frage mich, wie Menschen damit zurechtkommen, die alleinstehend sind und keine Familie haben, die sich um sie kümmert."

Ehrenamtliche Schlaganfall-Helfer

Haben Sie Interesse an der Ausbildung zum ehrenamtlichen Schlaganfall-Helfer? Angehörige können den Kurs auch kostenlos online absolvieren. Oder möchten Sie vielleicht in Ihrer Region selbst ein Helfer-Projekt anschieben? Hier finden Sie weitere Infos.