Reha wie im Flug

Reha wie im Flug

Der Traum vom Fliegen ist fast so alt wie die Menschheit. Ein Münchner Start-up-Unternehmen will ihn sich jetzt zunutze machen, um Schlaganfall-Betroffene zu therapieren.

Konzentration und Balance schulen

Als Johannes Scholl 2015 mit einem Partner ICAROS gründete, dachte er noch nicht an Rehabilitation. Für die sportbegeisterten Industriedesigner stand die Op­timierung von Fitnesstrainings im Fokus. Nicht allein Muskeln, sondern auch Konzentration und Balance wollten sie schulen. Sie entwickelten das Balance-Gerät ICAROS, das die Nutzerin­nen und Nutzer liegend mit ihrem Körper ausbalancieren müssen. Gekoppelt haben sie es mit einer Software und einer VR-Brille (für Virtual Reality, also virtuelle Realität). Vogelgleich fliegen die Trainierenden so über virtuelle, fotorealistische Landschaften, zum Beispiel über das Berchtesgadener Land. „Gamification“ heißt das in der Fachsprache, was man in die­sem Zusammenhang mit „etwas Anstrengendes spielerisch leichter machen“ übersetzen kann.

Interesse von Neurologen

Anfangs vertrieb ICAROS seine Geräte an edle Hotels, die damit ihre Fitness-Lounges ausstatteten. Dann meldeten sich interessierte Neurologen und fragten, ob man Gerät und Soft­ware nicht für die Neurorehabilitation weiterentwickeln kön­ne. Scholl erkannte schnell das Potenzial dieser Idee. Motori­sches Training ist schließlich sehr anstrengend und erfordert eine hohe Eigenmotivation. „Der Menschheitstraum vom Flie­gen ist so stark, dass wir die Patienten gewissermaßen über­listen können“, lacht er. „Die Schlaganfall-Rehabilitation ist aus meiner Sicht eine Paradedisziplin für VR.“

Ein lernendes System

Doch 1:1 ließ sich die Idee nicht umsetzen. Schlaganfall-Be­troffene sind Menschen mit unterschiedlichsten Einschrän­kungen. Man kann sie nicht einfach auf ein Gerät legen, das komplexe Anforderungen an Körper und Geist stellt. Hard­ware und Software mussten an die neue Zielgruppe ange­passt werden. So entstand ICAROS Health, das ergänzend zum reinen Sportgerät etwa eine Hüftsicherung beinhaltet. Unterschiedliche Einstellungen der Widerstände für die hori­zontalen und vertikalen Kippbewegungen ermöglichen zu­dem eine schrittweise Eingewöhnung. Die Software entwi­ckelten Scholl & Co. zu einem „lernenden System“ weiter. Das neue Programm NEXT lernt seine Patientinnen und Patienten kennen und stellt seinen Schwierigkeitsgrad jeweils individuell auf sie ein.

Projektförderung durch das Bundeswirtschaftsministerium

Das Bundeswirtschaftsministerium scheint überzeugt von der Idee und fördert das Projekt. Ende 2021 soll alles marktreif entwickelt sein. Das komplette Paket – Hardware und Software – soll für den Therapiebetrieb nicht mehr als 15.000 Euro kosten. Eine Investition, die sich im Vergleich zu vielen Therapie-Robotern bescheiden ausnimmt. Man darf gespannt sein...