Neuropsychologische Therapie in der Corona-Krise

Funktioniert kognitives Training daheim, ohne therapeutische Begleitung? In einigen Bereichen ja, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, meint die Leipziger Neuropsychologin Juliane Weicker.

Juliane Weicker

Im Interview
Juliane Weicker
Neuropsychologin in der Tagesklinik für Kognitive Neurologie am Leipziger Universitätsklinikum

Im Rahmen eines Forschungsprojektes entwickelt Juliane Weicker gemeinsam mit der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und der HASOMED GmbH (Magdeburg) ein computerbasiertes kognitives Training.

  • Frau Weicker, Sie behandeln täglich Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen. Worauf kommt es dabei besonders an?

Im Fokus meiner Arbeit mit den Patienten stehen die Verbesserung der mentalen Leistungsfähigkeit und die gemeinsame Erarbeitung von Strategien und Hilfsmitteln, um den Alltag erfolgreich zu bewältigen. Auch die Einsicht in die eigenen Stärken und Schwächen, sowie die Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung spielen eine wichtige Rolle.

  • Was passiert bei einer kognitiven Funktionstherapie?

Durch gezieltes, intensives Üben können beeinträchtigte mentale Funktionen wiederhergestellt werden. Dies gilt insbesondere für Hirnfunktionen wie Aufmerksamkeit, Reaktionsvermögen und visuelle Wahrnehmung. Wenn jemand beispielsweise wieder Auto fahren möchte, kann dessen Steuerung am Computer simuliert und so in sicherer Umgebung die dafür notwendigen mentalen Funktionen geübt werden.

  • Das machen Patienten normalerweise bei Ihnen in der Tagesklinik. Ist das seit der Corona-Krise überhaupt möglich?

Unsere Patienten kommen nach wie vor täglich zu uns in die Tagesklinik. Wir haben zahlreiche Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um die Sicherheit aller zu gewährleisten. Viele meiner ambulant arbeitenden Kollegen sind jedoch mittlerweile auf videobasierte Sprechstunden umgestiegen, um Patienten weiter zu behandeln.

  • Ist neuropsychologische Therapie ohne die persönliche Anwesenheit des Therapeuten möglich?

Nicht alle therapeutischen Methoden sind ohne die Anwesenheit des Therapeuten umsetzbar. Psychotherapeutische Gespräche und die Vermittlung geeigneter Strategien können jedoch gut videobasiert erfolgen. Auch kognitives Funktionstraining ist dafür geeignet. Der Therapeut vergibt individuelle Vorgaben, die der Patient selbstständig zu Hause ausführt. Die Ergebnisse werden in der nächsten Sitzung gemeinsam besprochen. So ist der Therapeut zwar nicht persönlich anwesend, steht aber via Internet in engem Kontakt mit dem Patienten.

 

  • Worauf kommt es an, wenn ein Patient zu Hause kognitive Leistungen trainiert?

Da es keine persönliche therapeutische Unterstützung gibt, erfordert die Therapie zu Hause ein gewisses Maß an Selbstständigkeit. Der Patient muss in der Lage sein, seinen Tag selbst zu strukturieren und den vorab vereinbarten Trainingsplan abzuarbeiten. Dabei spielen Motivation und Antrieb eine große Rolle. Das gelingt unterschiedlich gut. Zudem muss die technische Ausstattung stimmen: Ein einigermaßen moderner Computer oder Laptop mit großem Bildschirm und eine zuverlässige Internetverbindung sind nötig. Oft hilft es, wenn eine gemeinsame Einführung durchgeführt wird und zu Beginn ein Angehöriger dabei ist.

  • Kann kognitives Training am PC zu Hause genauso wirksam sein wie das in der Klinik?

Für den Erfolg der kognitiven Therapie ist vor allem ein intensives, hochfrequentes Training entscheidend. Abhängig von der betroffenen kognitiven Funktion kann dies sogar täglich sinnvoll sein. Während das Training in der Klinik zeitlich geplant ist, muss der Patient zu Hause selbstständig darauf achten. Auch die häusliche Umgebung ist entscheidend: Es sollte ruhig sein, mögliche Ablenkungen - wie Handy und Radio - sollten ausgeschaltet werden und Familienmitglieder dürfen nicht stören. Auch die innere Verfassung spielt eine Rolle: Die beste Übungszeit ist vormittags, dann ist die Konzentrationsfähigkeit am höchsten. Routinen helfen dabei, diese Empfehlungen umzusetzen, beispielsweise jeden Tag um die gleiche Zeit zu trainieren. Zudem bedarf es enger Abstimmung zwischen Therapeut und Patient.

  • In welcher Form?

Die Trainingsergebnisse müssen besprochen, die Vorgaben bei Bedarf angepasst werden. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, steht die Wirksamkeit des Trainings zu Hause dem Training in der Klinik in nichts nach. Das haben verschiedene Studien belegt. Im Gegenteil, durch das „ausgelagerte“ Funktionstraining bleibt in der persönlichen Therapie mehr Zeit, um andere wichtige Therapieziele zu bearbeiten.

  • Es gibt viele verschiedene Hirnleistungstrainings und Apps für Gehirnjogging. Was sollte eine solche Software dem Patienten bieten?

Für den Laien ist die Vielfalt Fluch und Segen zugleich. Für eine allgemeine Aktivierung gibt es zahlreiche Apps, die mit stimulierenden Übungen, Spaß und gesteigerten kognitiven Funktionen werben. In wissenschaftlichen Studien ist deren Wirksamkeit selten belegt und wenn, dann in erster Linie an gesunden Probanden. Kognitive PC-gestützte Trainings hingegen sind speziell für Menschen mit neurologischen Erkrankungen entwickelt worden. Deren Nutzung geht eine ausführliche neuropsychologische Diagnostik voraus, die genau erfasst, welche Teilleistung gestört und deshalb gezielt geübt werden sollte.

  • Wer kann für Patienten Vorgaben erstellen und sie beim Hometraining begleiten?

Zertifizierte Anbieter von kognitiven Trainings erfordern eine Klinik, Reha-Einrichtung oder ambulante Praxis, die den Patienten durch einen qualifizierten Neuropsychologen oder Ergotherapeuten betreut. Wer noch nicht in Behandlung ist, kann anhand von Listen mit registrierten Therapeuten einen Ansprechpartner in der Nähe finden. Ein guter Anlaufpunkt dafür ist die Gesellschaft für Neuropsychologie.

  • Übernehmen die Krankenkassen die Kosten für eine neuropsychologische Funktionstherapie?

Die Krankenkassen übernehmen die Kosten während einer Klinik- oder Praxisbehandlung. Wer zusätzlich ein kognitives Training zu Hause absolvieren möchte, zahlt in der Regel selbst — entweder über einen monatlichen Beitrag oder eine Lizenz für eine bestimmte Anzahl an Stunden. Anträge auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen sind möglich, werden meiner Erfahrung nach aber selten bewilligt. Während der Corona-Pandemie kommen einige Anbieter wie Hasomed den Patienten entgegen und bieten zeitlich begrenzt ein kostenfreies Training an.

  • Welche Programme sind das?

Zum Beispiel HeadApp und RehaCom. Beide Anwendungen nutze ich auch in der Tagesklinik und habe damit positive Erfahrungen gemacht.

  • Wie können Angehörige Patienten helfen, mit den aktuellen Herausforderungen der Corona-Krise besser umzugehen?

Angehörige können helfen, indem eine geregelte Tagesstruktur mit Routinen und täglichen Aufgaben, zum Beispiel im Haushalt, aufrecht erhalten wird. Auch Bewegung an der frischen Luft zählt dazu. Kognitives Training kann durchaus Bestandteil eines solchen festen Tagesablaufs sein. Nicht nur als Funktionstraining, sondern auch als geistige Stimulation und tägliche Herausforderung.

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