Geht nicht, gibt’s nicht

Geht nicht, gibt’s nicht

"Habt ihr’s gesehen?", ruft Priska Petersen strahlend und zeigt auf den Ball im Netz. Die ehemalige Amateur-Fußballerin steht auf dem Kleinspielfeld der Jugendherberge Duisburg. Sie nutzt eine Pause im Programm des Erfahrungsaustauschs für junge Schlaganfall-Betroffene für eine spontane Sporteinheit.

Kein Wunder – Priska scheint immer in Aktion zu sein. Und wenn es um Fußball geht, lässt sie sich ohnehin nicht zweimal fragen. Zwischen 1983 und 1986 absolviert die linksfüßige Verteidigerin elf Auswahlländerspiele für den Hamburger Fußballverband und spielt später zwei Jahre lang in der Frauenbundesliga. Ihr Heimatverein ist der SC Poppenbüttel.

 

Seit ihrem Schlaganfall im Oktober 2007 fällt ihr das Schießen schwerer. Das erklärt ihre Euphorie nach dem geglückten Torschuss auf dem Kleinspielfeld in Duisburg. „Die Kommunikation zwischen Kopf und Fuß funktioniert nicht mehr so einwandfrei“, verrät die 55-Jährige. Doch wer Priska kennt, weiß, dass sie sich davon nicht beirren lässt. „Das Leben geht weiter, nur eben anders“, lautet ihr Motto, das sie mit einer beeindruckenden Positivität und ihrem scheinbar unbegrenzten Einfallsreichtum immer wieder unter Beweis stellt.

Beeindruckende Willenskraft

Kartoffeln schälen, stricken, golfen – all das macht Priska heute wieder selbstständig, trotz ihrer linksseitigen Halbseitenlähmung. Entweder hat sie sich alternative Bewegungsabläufe antrainiert oder sie nutzt Hilfsmittel. „Im Internet gibt es viele nützliche Dinge zu kaufen und wenn ich mal nichts Passendes finde, baue ich mir einfach selbst was.“ Von dieser Kreativität und dem unbändigen Willen nach Selbstständigkeit sind auch die anderen Teilnehmenden des Erfahrungsaustauschs fasziniert. Immer wieder erreichen Priska Fragen, ob sie zu dieser oder jener Herausforderung auch eine Lösung parat habe. Falls sie tatsächlich einmal verneinen muss, versichert sie zugleich, sich etwas einfallen zu lassen.

Es ist nicht so, als hätte die 55-Jährige niemanden, der ihr Hilfestellung im Alltag anbietet. Gemeinsam mit ihrem Mann lebt sie an der Ostsee – in der sie im Sommer natürlich regelmäßig schwimmt. Seit 1992 sind die beiden verheiratet. Kennengelernt haben sie sich Ende der 1980er-Jahre beim Fußball. „Er war mein Trainer“, erzählt Priska. Mit ihm hat sie eine Abmachung: Er eilt erst dann zur Hilfe, wenn seine Frau ihm das O.K. dazu gibt. „Ich habe immer den Ehrgeiz, es erst einmal selbst zu probieren.“

 

Der Tag, der alles veränderte

Doch es gab eine Zeit, in der sie schlicht und ergreifend auf die Hilfe anderer angewiesen war. Auslöser dafür war ein Ereignis am 4. Oktober 2007: Auf dem Weg in die Küche kippt Priska plötzlich um. Ihr Mann reagiert intuitiv richtig und wählt die 112. Die Rettungskräfte haben schnell eine Vermutung und bringen Priska umgehend auf eine Stroke Unit, eine Spezialstation für Menschen mit (Verdacht auf) Schlaganfall. Schnell steht fest: Die Rettungskräfte lagen richtig mit ihrer Vermutung. Zwei Wochen verbringt Priska auf der Station. Sie kann ihre linke Körperhälfte kaum bewegen. „Als das Sanitätshaus mit einem Rollstuhl für mich auf die Stroke Unit kam, ist für mich eine Welt zusammengebrochen“, erinnert sich die 55-Jährige.

Doch auf dem Weg in die Reha packt sie der Ehrgeiz: „Für mich war das Wichtigste, wieder laufen zu können. Der Arm war erstmal egal.“ Drei harte Monate dauert es, bis sie die ersten Schritte ohne Hilfe schafft. Drei weitere Monate später wird sie aus der Reha entlassen – laufend, den Rollstuhl vor sich herschiebend. „Ich war so glücklich, ich hätte die ganze Welt umarmen können.“

Zurückeroberte Freiheiten

Langsam, aber sicher kämpft sich Priska damals zu Hause ins Leben zurück. Ihren Job als stellvertretender „Chef vom Dienst“ bei der Zeitschrift „Bild der Frau“ kann die gelernte Druckformherstellerin nicht wieder aufnehmen. Durch ihren Schlaganfall ist sie berufsunfähig. Stattdessen stehen ab sofort zahlreiche Therapien und eigenständiges Training auf dem Programm. Bei der Krankenkasse erkämpft sie sich eine vierwöchige ambulante Reha, bei der sie unter anderem Tipps für den Haushalt bekommt und lernt, wieder eigenständig U- und S-Bahn zu nutzen.

 

Zusätzlich absolviert Priska die Fahrtauglichkeitsprüfung beim Neurologen. Schnell findet sie eine passende Fahrschule, die sie in einem speziell umgebauten Auto auf die praktische Prüfung vorbereitet. „Bestanden“, grinst die Frohnatur. Dank eines eingebauten Commanders am Lenkrad ihres privaten Automatikwagens kann sie einhändig fahren. „Plötzlich konnte ich wieder alleine zum Einkaufen fahren oder Freunde besuchen“, erinnert sie sich. „Das hat mir ein großes Stück Selbstständigkeit zurückgebracht.“ 

Mit Geduld und Ausdauer zu neuen Erfolgen

Doch Priska hat nicht bloß ihr eigenes Schicksal im Blick. 2018 übernimmt sie – bis zu ihrem Umzug an die Ostsee – die Leitung einer Schlaganfall-Selbsthilfegruppe in Hamburg. Beim Schlaganfall Ring engagiert sie sich zeitweise als Mentorin. Durch diese beiden Stationen wird sie auf die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe aufmerksam. 2022 nimmt die Sportskanone am von der Stiftung veranstalteten Erfahrungsaustausch Junger Mensch teil, der sich an Betroffene zwischen 18 und 54 Jahren richtet. Neben den inhaltlichen Workshops zum Thema „Zeit für Gefühle“ begeistern sie vor allem das abwechslungsreiche Sportangebot und der Austausch mit anderen Betroffenen.

 

Ihr Fazit nach vier ereignisreichen und emotionalen Tagen: „Ich nehme total viel mit! Ich habe neue Bekanntschaften und sogar weitere Fortschritte gemacht.“ Zum Beispiel ist Priska zum ersten Mal seit ihrem Schlaganfall wieder gehüpft. Einfach so, mitgerissen von der Euphorie des Moments. Was für gesunde Menschen so banal klingt, ist für einen schlaganfallbetroffenen Menschen mit Halbseitenlähmung ein großer Erfolg. Und es passt zu ihrer Lebenseinstellung. Ein „Kann ich nicht“ gibt es bei Priska nicht: „Es geht nur zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Irgendwann geht‘s – mit Geduld und Ausdauer. Man muss am Ball bleiben.“ Einmal Fußballerin, immer Fußballerin.  

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