Mit allen Sinnen zur Ruhe kommen

Mit allen Sinnen zur Ruhe kommen

Stress abbauen, die Natur bewusst wahrnehmen und sich selbst spüren. Therapeutisches Waldbaden hilft, zur Ruhe zu kommen und prägende Erlebnisse zu verarbeiten.

„Ich gehe doch sowieso jeden Tag mit meinem Hund in der Natur spazieren, wozu soll ich Waldbaden?!“ Sätze wie diesen hört Uschi Menge-Voss oft. Sie ist Sport- und Gymnastiklehrerin und leitet bei den Dr. Becker Kliniken Rhein-Sieg zahlreiche Kurse für Entspannung und Stressmanagement. Seit etwa einem Jahr steht in der Rehaklinik neben Tai Chi oder autogenem Training auch therapeutisches Waldbaden zur Auswahl.

Waldbaden kommt aus Japan

Das Waldbaden kommt ursprünglich aus Japan, heißt „Shinrin Yoku“ – und wird dort sogar auf Rezept verordnet. Die Wirkung wird seit vielen Jahrzenten wissenschaftlich untersucht. Die Studienergebnisse zeigen: Die Pflanzen strömen organische Verbindungen aus, um Bakterien, Pilze oder Insekten abzuwehren. Atmen Menschen diese Verbindungen ein, senkt dies den Blutdruck und den Puls. Außerdem verringert sich das Stresshormon Cortisol und das Immunsystem wird gestärkt.

Waldbaden heißt, die Natur sehr bewusst und in Ruhe wahrzunehmen

Trotzdem ist Waldbaden nicht mit Gassi-Gehen oder einem Spaziergang vergleichbar. „Es geht vor allem darum, die Natur sehr bewusst und in Ruhe wahrzunehmen. Ohne Ablenkung, ohne Hund, ohne Handy, ohne Gespräche“, erklärt die Therapeutin. „Wir erleben den Wald mit allen Sinnen. Wir hören die Geräusche, sehen, welche Farbe die Blätter oder das Moos haben, spüren die Rinde oder riechen den Waldboden.“

Positive Wirkung vom Waldbaden

Welche positive Wirkung die aufmerksame Auseinandersetzung mit der Natur hat, erlebt Uschi Menge-Voss immer wieder: „Tiefes Atmen an der frischen Luft bringt Entspannung. Viele Patientinnen und Patienten berichten mir, dass sie besser schlafen können, weil sich nachts das Gedankenkarussell nicht mehr dreht“. Sie animiert ihre Teilnehmenden immer wieder, das Schöne im Wald zu suchen. Die Wahrnehmung soll nicht auf den umgeknickten Bäumen liegen, sondern auf dem saftigen Moos oder dem herbstlichen Farbenspiel. Das lasse sich gut auf die Situation vieler Patienten übertragen: „Ihr Blick richtet sich durch ihre Erkrankungen oft auf die Dinge, die sie nicht mehr können. Dabei ist es wichtiger zu erkennen, welche Fähigkeiten noch vorhanden sind, um positiv in die Zukunft zu blicken.“

Weiterführende Informationen

Die Zahl der professionell begleiteten Waldbaden-Seminare steigt. Sie werden von verschiedenen Veranstaltern angeboten, zum Beispiel dem Naturschutzbund, der Volkshochschule oder anderen Bildungseinrichtungen. Mehr Informationen erhalten Sie beim Bundesverband Waldbaden e.V.

Für alle, die den Wald auf eigene Faust neu entdecken möchten, gibt es hier Tipps zum Waldbaden

Waldbaden-Seminare werden von speziell weitergebildeten Kursleitern angeboten – zum Teil mit therapeutischen Schwerpunkten, etwa für psychisch oder neurologisch erkrankte Menschen. Doch auch ohne Seminar gibt es viele Möglichkeiten, den Wald auf eine neue Weise zu erleben.

Uschi Menge-Voss, Kursleiterin für therapeutisches Waldbaden an den Dr. Becker Kliniken Rhein-Sieg, gibt Tipps:

  1. In Ruhe genießen

    „Beim Waldbaden ist es wichtig, zu sich zu kommen. Lassen Sie sich deswegen Zeit und vermeiden Sie alle Ablenkungen. Keine Gespräche, keine Musik, kein Handy, kein Hund“, sagt die Therapeutin. Die Konzentration sollte nur bei sich selbst und der Wahrnehmung der Natur liegen.
     
  2. Den Wald mit allen Sinnen erfahren

    "Viele laufen durch den Wald, aber kaum jemand nimmt sich die Zeit, wirklich inne zu halten“, ist die Erfahrung von Uschi Menge-Voss. Deswegen animiert sie die Teilnehmer, den Wald mit allen Sinnen wahrzunehmen – am besten jeden Sinn einzeln.
    - Sehen: Welche Farben haben die Blätter? Wo bewegt sich etwas im Unterholz? Wie fällt das Sonnenlicht ein?
    - Riechen: Wie durftet der Boden, die Rinde, der Tannenzapfen, die frische Luft?
    - Hören: Wie rauschen die Blätter oder zwitschern die Vögel? Was höre ich noch?
    - Fühlen: Wie fühlt sich die Baumrinde an? Wie das Moos? Wie fühlen sich Bucheckern an, wenn ich damit über die Haut fahre?
    - Schmecken: Wie schmecken frische Waldkräuter? Wilde Beeren frisch vom Strauch? (Achtung: Diese Übung nur machen, wenn man sich sehr gut mit den Pflanzen auskennt beziehungsweise unter professioneller Anleitung.)

  3. Die Verbindung mit der Natur spüren

    Eine Übung: Sich hinsetzen, an einen Baum lehnen, die Augen schließen und die Verbindung zum Stamm spüren. „Bei Wind bewegt sich der Baum – und man selbst bewegt sich mit. Das Gefühl kann sehr intensiv sein“, sagt Uschi Menge-Voss.

  4. Tief atmen

    Im Wald innehalten und einige Minuten ruhig, tief und bewusst atmen – das entspannt und stärkt zugleich das Immunsystem. „Bei machen kommen auch Emotionen hoch, die sie verdrängt haben. Wenn in so einer Situation Tränen fließen, ist das völlig in Ordnung. Auch Entspannung ist tatsächlich Übungssache“, erklärt die Expertin.

  5. Die Jahreszeiten verfolgen

    Der Wald verändert sich zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter. Deswegen ist das Waldbade-Erlebnis jedes Mal etwas anders.

  6. Das Staunen bewahren

    „Es gibt Menschen, die waren schon oft im Wald, haben ihn aber nie wirklich erlebt“, bemerkt Uschi Menge-Voss häufig. Sie findet es wichtig, sich die kindliche Entdeckungsfreude zu bewahren – auch beim Waldbaden. „Es sind Kleinigkeiten, die uns immer wieder zum Stauen bringen. Die Form eines Baumstamms, ein Tier oder ein neuer Duft. Bleiben Sie neugierig!“

 

„Therapie mal anders“ stellt Therapiemethoden vor, die nicht immer wissenschaftlich belegt sind, aber von Schlaganfall-Betroffenen häufig als hilfreiche oder angenehme Ergänzung zu den klassischen Therapien empfunden werden.