Auch die Seele leidet

Auch die Seele leidet

Halbseitige Lähmung, epileptische Anfälle – der kindliche Schlaganfall kann schwerwiegende körperliche Folgen hinterlassen. Je länger der Schlaganfall aber zurückliegt, desto mehr überwiegen psychosoziale Beeinträchtigungen. Das erleben die Schlaganfall-Kinderlotsen Franziska Schroll und Maik Hohmann immer wieder.

Schlaganfall-Kinderlotsen

Im Interview:

Schlaganfall-Kinderlotsen Franziska Müller und Maik Hohmann

2012 hat der erste Schlaganfall-Kinderlotse in Bremen seine Arbeit aufgenommen. Inzwischen gibt es zwei Ansprechpartner, die Familien mit Kindern, die einen Schlaganfall hatten, begleiten. Maik Hohmann ist für Norddeutschland zuständig, Franziska Schroll für Süddeutschland. Mehr als 200 Familien haben bereits von der individuellen Beratung profitiert. Im Interview berichten die beiden Kinderlotsen von ihrer Arbeit – und warum diese so wichtig ist.

  • Der Schlaganfall hinterlässt nicht nur körperliche Schäden. Welche Bedeutung haben psychosoziale Probleme in Familien mit einem schlaganfallbetroffenen Kind?

Franziska Schroll: Kinder, die von einem Schlaganfall betroffen sind, haben oft viele Hindernisse zu bewältigen. Dies kann zum einen an körperlichen Einschränkungen liegen, etwa einer halbseitigen Lähmung, aber auch an sozialen und emotionalen Besonderheiten. Bei einigen Kindern sind zum Beispiel Hirnareale betroffen, die Gefühle erkennen und Wut steuern, so dass den Kindern die Kontrolle über ihre Gefühle entsprechend schwerfällt. Je älter sie werden, desto deutlicher erkennen sie zudem, dass sie „anders“ sind, was auch zu emotionalen Schwierigkeiten führen kann. Bei Schulbeginn werden häufig die kognitiven Defizite offenbar. Oft leidet durch die Schädigung des Gehirns die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit sowie das Gedächtnis.
Maik Hohmann: Außerdem muss man immer bedenken, dass nicht nur das Kind unter dem Schlaganfall leidet, sondern die ganze Familie. Zum einen bestimmen Sorgen um die Gesundheit des Kindes den Alltag, zum anderen gibt es oft ganz praktische Herausforderungen: Wie schaffe ich es, neben meinem Beruf mein Kind noch zu allen Therapien zu bringen? Wie geht es dem Geschwisterkind, wenn das erkrankte Kind immer im Mittelpunkt steht? Wie verkraftet die Paarbeziehung die neue Situation?

  • Vergessen sich Eltern selbst in der Sorge um ihr Kind?

Franziska Schroll: Hauptsache meinem Kind geht es gut! - Das höre ich Mütter und Väter immer wieder sagen. Das Kraftreservoir macht da aber nicht mit. Deshalb versuche ich, gemeinsam mit den Eltern kleine Inseln zum Kräfte-Auffüllen zu finden, etwa, indem sie wieder ihrem Hobby nachgehen. Die Eltern brauchen dringend solche Zeiten für sich.
Maik Hohmann: Es ist für betroffene Eltern wichtig, sich ein verständnisvolles Netzwerk zu schaffen. Deswegen beziehen wir, abhängig von der Situation, gerne auch andere Menschen in unsere Arbeit, die mit dem Kind in Kontakt stehen – zum Beispiel Patenonkel- und Tanten, Kindergärtner, Lehrer oder Therapeuten.

  • Warum ist ein verständnisvolles Umfeld so wichtig?

Maik Hohmann: Der kindliche Schlaganfall ist mit mehreren hundert Fällen in Deutschland pro Jahr eine seltene Erkrankung. Manche Eltern erhalten sofort die richtige Diagnose, andere tappen monatelang im Dunkeln. Viele Kinder- bzw. Hausärzte, Therapeuten, Lehrer – aber natürlich auch die eigene Familie und Freunde – haben noch nie ein schlaganfallbetroffenes Kind begleitet. Es ist enorm wichtig, dass sie aufgeklärt werden und mit den Eltern an einem Strang ziehen – das hilft enorm.

  • Wie erleben Geschwister die Krankheit ihres Bruders oder ihrer Schwester?

Maik Hohmann: Das kommt etwas darauf an, wie alt die Kinder sind, wenn der Schlaganfall passiert. Je älter das Kind bei seinem Schlaganfall ist, desto mehr nimmt es natürlich die eigene Veränderung war – und das gleiche gilt für die Geschwister. Geschieht der Schlaganfall bei der Geburt, ist der Umgang unter Geschwistern meist sehr natürlich. Es wird geliebt und gestritten wie bei allen anderen auch. Das Verständnis für die Erkrankung kommt dann erst später – und kann für Konfliktpotential sorgen. Zum einen können sich die Geschwisterkinder vernachlässigt fühlen. Zum anderen bemerken die Kinder im Zweifel immer mehr ihre Unterschiede: Warum kann meine große Schwester auf das Klettergerüst klettern und ich nicht? Warum hat mein kleinerer Bruder so gute Noten und mir fällt es schwer, dem Unterricht zu folgen?
Franziska Schroll: Ich habe festgestellt, dass viele Geschwister von Kindern mit Behinderung zum einen sehr sozialkompetent und verständnisvoll sind und zum anderen viel reifer wirken. Bei manch 12-Jährigem hat man den Eindruck, mit einem wesentlich älteren Jugendlichen zu sprechen. Viele können die Situation sehr reflektiert einschätzen.

  • Wie machen Sie Eltern Hoffnung für die Zukunft?

Maik Hohmann: Tatsächlich reichen manchmal schon kleine Tipps – und Zuhören! Vor allem in der ersten Zeit nach der Diagnose sind die Eltern oft emotional und organisatorisch völlig überfordert. Dann helfen wir, Gedanken zu ordnen und Pläne zu schmieden – Schritt für Schritt. Wenn die Eltern wissen, dass sie der Situation nicht ausgeliefert sind, sondern aktiv handeln können, macht das immer Hoffnung.
Franziska Schroll: Wir vermitteln gerne Kontakte zu anderen betroffenen Familien beziehungsweise Selbsthilfegruppen. Besonders die Eltern von kleinen Kindern sind oft ganz erstaunt, wie toll sich die älteren Kinder entwickelt haben. Die meisten Kinder lernen laufen und sprechen – teilweise entgegen aller ärztlichen Prognosen, sie schaffen die Regelschule und anschließend sogar eine Ausbildung. Hauptsache ist aber: Sie sind glückliche Kinder.