Experten-Interview: „Medikamentöse Behandlung ist wichtig“

Dr. Hans-Peter Neunzig behandelt seit vielen Jahren Patienten mit einer Post Stroke Depression. Der Neurologe und Psychiater spricht über Wege aus der Krankheit.

Dr. Hans-Peter Neunzig im Interview

Im Interview:
Dr. Hans-Peter Neunzig
Waldklinik Jesteburg

  • Herr Dr. Neunzig, welche Bedeutung hat die Depression in der neurologischen Rehabilitation nach Schlaganfall?

Eine sehr große. Das ist für mich therapeutische Grundlage, oft schon in der Frührehabilitation eine Depression zu erkennen und zu behandeln, manchmal sogar einer Entwicklung ein bisschen vorzubeugen, indem man die Patienten medikamentös  unterstützt.

  • Wie sieht das genau aus?

Sie müssen unterscheiden zwischen rechtshirnig und linkshirnig Betroffenen. Letztere haben meistens eine schwere Sprachstörung. Mit einem sprachgestörten Patienten können Sie die Depression schwer verbal behandeln, das ist ein Riesenproblem. Was Sie sonst über eine Gesprächstherapie bearbeiten – unsere Neuropsychologen machen das – ist in diesem Fall relativ erfolglos, da die Kommunikation gestört ist. Deshalb behandele ich diese Patienten vorsorglich sehr frühzeitig mit Antidepressiva.

  • Helfen Medikamente bei der Krankheitsverarbeitung?

Sie helfen, die Hoffnungslosigkeit und Antriebslosigkeit zu beseitigen. Dadurch nehmen Patienten aktiver an der Therapie teil und erkennen wieder Fortschritte.

  • Ist eine Depression nach Schlaganfall heilbar?

Ja, ich würde von Heilung sprechen. Das Antidepressivum unterstützt den Prozess der Wiedererlangung kognitiver Funktionen. So kann der Patient wieder eine Lebensperspektive entwickeln. Das ist bei einer Post Stroke Depression ein Stück weit einfacher als bei anderen Depressionen, deren Ursachen oft komplexer sind.

  • Gibt es Argumente gegen Antidepressiva?

Kaum, die modernen Mittel werden sehr gut vertragen. Meistens entwickelt sich im Laufe einer erfolgreichen stationären Rehabilitation die Depression zurück, viele benötigen das Antidepressivum dann nicht mehr. Das ist eine schöne Entwicklung.

  • Sprechen Sie mit den Angehörigen über die Depression?

Selbstverständlich, sehr viel. Wir beziehen sie in den therapeutischen Prozess ein. Oft sprechen wir auch mit allen gemeinsam. Die Aufklärung über das Krankheitsbild ist ganz wesentlich. Nur wer seine Krankheit verstanden hat, kann auch gesünder werden. Patienten, die das zum Beispiel aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigung nicht können, haben oft eine schlechtere Prognose.

  • Was ist, wenn sich die Depression erst nach Entlassung aus der Klinik entwickelt?

Aus meiner Sicht kann das zwei Gründe haben. Entweder die Depression wurde in der Rehabilitation unterschätzt oder es spielt zusätzlich ein Umweltfaktor eine Rolle, von dem man in der Klinik nichts ahnen konnte. Der Entlassung aus der Rehabilitation kann sicher eine kritische Phase folgen. Die Rehabilitationsergebnisse gehen bei Patienten, die ihre Folgetherapien nicht ausreichend wahrnehmen, ja häufig wieder zurück.

  • Was raten Sie diesen Patienten und ihren Angehörigen?

So ein Patient sollte sich auf jeden Fall in die Obhut eines Neurologen begeben. Fehlt diese Einsicht oder der Antrieb, sollten Angehörige unbedingt darauf drängen. Dann muss man schauen, welche Möglichkeiten der Behandlung es gibt. Meistens wird es eine Kombination aus medikamentöser und neuropsychologischer Therapie/Psychotherapie sein. Ohne diese professionelle Hilfe wird es sicher nicht gehen.

Vielen Dank für das Gespräch.