
Im Interview:
Prof. Dr. Ingo Froböse
Leiter des Zentrum für Gesundheit durch Sport und Bewegung an der Deutschen Sporthochschule Köln
Herr Froböse, man sagt, Bewegung sei der Alleskönner in der Prävention. Was genau ist der präventive Effekt der Bewegung?
Körperliche Aktivität ist ein wunderbares Medikament, weil es vor allen Dingen keine Nebenwirkungen hat, es hat keinen Beipackzettel. Von der ersten Sekunde an wird das Immunsystem stimuliert und aktiviert, dadurch wird unsere Abwehr dauerhaft besser. Die Durchblutung wird erhöht, so wird mehr Sauerstoff in den Körper transportiert. Bei einem Spaziergang beispielsweise erhöht sich die Durchblutung von der ersten Sekunde an um 30 Prozent. Das bedeutet: Sauerstoff-frische Vitalität!
Bewegung braucht Motivation. Was empfehlen Sie Menschen, denen es schwerfällt, sich zu motivieren?
Wir wissen, dass der Einstieg in den Sport unheimlich schwer ist. Meistens hat man einen Plan, aber man setzt sich viel zu große Ziele. Kleine Schritte soll man sich vornehmen, beispielsweise: Schaffe ich es vielleicht, mal einen Kilometer oder zwei am Stück zu gehen? Schaffe ich es, in die erste Etage regelmäßig zu Fuß zu gehen? Nach etwa sechs Wochen haben wir alle ein Motivationstief, dann muss man sich belohnen, zum Beispiel mit einem Paar neue Sportschuhe. Und dann kommt man langsam in ein System hinein. Man muss Ritualisierung schaffen. Es muss völlig normal werden, dass man körperliche Aktivität im Alltag ausführt.
Ist Sport nicht eigentlich künstlicher Ersatz für Bewegung, die wir durch die Zivilisation aus unserem Leben verbannt haben?
Das kann man so sagen, ja. Wir haben da draußen viel zu wenig Bewegung. Gehen wir davon aus, dass wir noch vor 100 Jahren acht bis zehn Stunden am Tag körperlich aktiv waren. Wir haben Kohle geschippt, Holz gehackt, Gartenarbeit gemacht, Wege zu Fuß zurückgelegt, denn es gab kaum Autos. Heute bewegt sich der durchschnittliche deutsche Mann maximal 20 bis 25 Minuten am Tag. Und darin ist noch keine relevante körperliche Aktivität. Der Fahrstuhl, die Scooter, die E-Bikes – alles ist automatisiert, dadurch haben wir keine ausreichenden Reize mehr für unseren Körper, die wir brauchen.
Wir müssen also Bewegung wieder stärker in unseren Alltag holen?
Ja, jede körperliche Aktivität hilft, egal was! Wenn ich bei Null anfange und komme nur einen kleinen Schritt voran, ist das schon mal etwas. Meine Oma hat bis zum 96. Lebensjahr allein gelebt. Was hat sie gemacht? Sie hat ihr Leben immer so gestaltet, dass es möglichst viel Aktivität hatte. Ein Beispiel: Wenn sie bügelte, hatte sie immer das Bügelbrett in einem Zimmer und den Wäschekorb in einem anderen. So hat sie ihre Schritte im Haushalt gesammelt – kleiner Reiz, kleine Aktivität, aber für eine Dame über 90 ein wunderbares Training.
Wer profitiert am meisten von Bewegung?
Davon kann jeder profitieren, doch es ist in der Tat so, dass Anfänger immer die größten Fortschritte machen. Also, Leute, legt los! Fangt heute an! Und es lohnt sich wirklich in jedem Alter, denn wir werden besser, und das sogar ganz schnell.
Bewegung ist auch gut für die Seele. Warum?
Es gibt sehr schöne Studien, die belegen, dass sich bestimmte hormonelle Regulationsprozesse erst unter Bewegung ausbilden können. Die dunklen Wolken, die manchmal über uns schweben, haben keine Chance, weil neue Botenstoffe entstehen. Und wenn ich sportlich aktiv bin, habe ich damit quasi 50 Prozent meiner geistigen Leistungsfähigkeit beansprucht. Ich habe gar nicht mehr so viel Kapazität, um mich mit den Sorgen des Alltags zu beschäftigen. Es ist eindeutig bewiesen, dass durch Sport gute Laune entsteht. Sport und Bewegung machen glücklich!
Aber die Pandemie hat uns die Laune verdorben, sie war ein Brandbeschleuniger in Sachen Mangelbewegung. Welche Folgen haben wir zu erwarten?
Ich habe bewusst immer von einer Bewegungsmangel-Pandemie gesprochen. Kinder haben viele Entwicklungsschritte nicht durchlaufen können, bei jungen Erwachsenen sehen wir schon jetzt, dass manche Krankheiten viel zu früh auftauchen. Unter den Erwerbstätigen haben wir extrem hohe Ausfallzeiten aufgrund von psychischen Belastungssituationen, die entstehen, weil körperliche Aktivität als wichtiges Ventil nicht mehr stattfindet. Und bei den älteren Menschen wird viel früher Pflegebedürftigkeit auftreten, weil sich ihre motorischen Ressourcen durch das Wegsperren stark zurückentwickeln. Durch Corona haben wir also in allen Altersstufen Einbußen in unserer Körperlichkeit und Geistigkeit erfahren, und das wird sich auf jeden Fall negativ auswirken. Ich gehe davon aus, dass wir bis 2030 eine Verdoppelung unserer Gesundheitsausgaben haben werden – durch die zunehmenden chronischen Erkrankungen wie Diabetes, durch Übergewicht, durch reduzierte psychische Belastbarkeit.
Ein Satz noch zu unserem Aktionsmotto „Ein bisschen was geht immer! Bewegung im Alltag wirkt Wunder.“ Treffend formuliert?
Absolut! Jede Bewegung zählt! Und besonders dann, wenn ich bisher nicht viel körperliche Aktivität ausgeführt habe, ist es richtig, den Körper erstmal langsam an ein aktives Leben zu gewöhnen. Langsam einsteigen, mit einem Lachen im Gesicht, so dass man, wenn man aufhört, sagen kann: Wow, war das schön! Das mache ich morgen wieder!
"Ein bisschen mehr geht immer"
Zum "Tag gegen den Schlaganfall" am 10. Mai haben wir Ihnen an dieser Stelle ein Themenspecial "Bewegung" zusammengestellt.